Zehn Märtyrer

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(zehn durch die römische Regierung Hingerichtete). Die Erzählung von den zehn Märtyr­ern, die in gleicher Zeit auf Befehl der römischen Obrigkeit unter Hadrian hingerichtet wurden, kennt das talmu­dische Schrifttum noch nicht. Weder in der Mischna, noch in der Tosephta, Sifra, Mechilta und in den beiden Ge­maras, der jerusalemischen und der ba­bylonischen kommt dieselbe vor. Da und dort wird von Hinrichtungen ein­zelner Gesetzeslehrer, die als Führer und Leiter der missglückten barkoch­baischen Aufstände gekannt oder als solche von den Verrätern bezeichnet waren, berichtet, aber eine Angabe von zehn Märtyrern, die zu gleicher Zeit getötet wurden, existiert daselbst nicht. So berichtet die Mechilta von der Hin­richtung des R. Ismael und des R. Si­mon, worauf R. Akiba seinen Jüngern zurief: »Bereitet euch auf schwere Strafverhängnisse vor«; ferner Ebel Rabbathi Kap. VIII. von der Hinrich­tung des R. Simon b. G. und des R. Jo­sua, wo erzählt wird, dass bei dieser Nachricht R. Akiba und R. Juda ben Baba zum Volke sprachen, sich auf größere Verhängnisse gefasst zu halten; die Sifra von der des Pappus Sohn Juda, und des Alexandriner Julianus; die Tosephta, dass der Märtyrertod dieser beiden mit ihrem Genossen, nämlich mit R. Akiba von Samuel dem Kleinen auf seinem Totenbette vorher­gesehen und im Voraus verkündet wurde; Aboth de R. Nathan, ebenso Semachoth, die Simon b. Gamliel, den Patriarchen, als den zweiten nach Is­mael b. Elischa nennen. Andere setzen anstatt des obigen R. Ismael den Ho­henpriester R. Ismael b. Elischa. Weiter kennt man den Märtyrertod des Akiba, der nach dem Tode R. Simon b. Gamliels erfolgt war; des R. Juda ben Baba; Chanina Sohn Teradjon; R. Chuzpith; Jehuda Hanechtam. Eine Kollektivbe­zeichnung für diese Märtyrer wird durch »die durch Roms Regierung Er­schlagenen« oder »die in Lydda Hinge­richteten«, gegeben, aber die Angabe der Zahl von »zehn« ist nicht dabei. Erst die jüngere Agada, etwa vorn 6. Jahrh. ab, die sich dieser zerstreuten Notizen bemächtigt und daraus eine ab­gerundete zusammenhängende Märty­rerlegende geschaffen hat, bringt die Zahl »zehn Märtyrer«, unter der sie mehrere von den oben genannten in Verbindung mit anderen gelehrten Per­sönlichkeiten aus verschiedenen Zeiten (siehe weiter) aufzählt. Aus dieser jün­geren Agadaliteratur ging diese Zehn­zahl der Märtyrer zu den Selicha- und Pijutimdichtern des 12., 13. und 14. Jahrh. über, welche die Märtyrerlegende des jüngeren agadischen Schrifttums in ihren Poesien für den synagogalen Got­tesdienst des Versöhnungstages und der zehn Bußtage und anderer Fasttage verarbeitet haben. In dieser Legende wird erzählt: »Gott habe zur Demüti­gung der Stolzen, welche in den die Tempelzerstörung überlebenden jü­dischen Gelehrten Ersatz für dieses Heiligtum sahen, den Tod der zehn Märtyrer beschlossen. Roms Regie­rung in Palästina war bestimmt, diesen göttlichen Beschluss auszuführen. Ein Vorwand hierzu war die Sühne des Verkaufs Josephs durch seine Brüder. Der Kaiser, heißt es, ließ sich in der Thora unterrichten und gelangte zu dem Gesetze, das den Tod auf den Diebstahl und den Verkauf eines Men­schen setzt. Sofort unterbrach er sein Studium und ließ zehn Gelehrte aus Is­rael vor sich kommen und das Gemach mit Schuhen anfüllen. Er fragte diesel­ben, welche Strafe der verdient, der ei­nen Menschen stiehlt und ihn verkauft. Sie antworteten: »Den Tod!« nach un­serem Gesetz. Darauf entgegnete der Kaiser, so habt ihr das Urteil über euch selbst verhängt. Zur Sühne des Ver­kaufs Josephs durch seine Brüder sollt ihr getötet werden. Einer von ihnen, R. Ismael, der in der Geheimlehre einge­weiht war, schwang sich durch das Aussprechen des heiligen Gottesna­mens nach dem Himmel, wo er auf seine Fragen zur Antwort erhielt, es sei dies von Gott also beschlossen. Alle ertrugen willig dieses Verhängnis und heiligten den Namen Gottes. Es folgt nun die Schilderung der verschiedenen Martern, die über sie verhängt wurden. Die zehn Märtyrer, die hier genannt werden, sind: R. Ismael, der Hohe­priester, R. Simon ben Gamliel, der Pa­triarch; R. Akiba; R. Chanina ben Ter­adjon; R. Elieser ben Schemua; der Schreiber Jeschebab; R. Chanina ben Chachiani; R. Juda ben Baba; R. Chuz­pith, der Dolmetscher und R. Juda b. Dama. Dieselben Namen, wenn auch in einer anderen Reihenfolge, hat eine zweite Midraschschrift. Dagegen ken­nen die Zusätze zu den Hechaloth nur vier Märtyrer: R. Simon ben Gamliel; R. Ismael ben Elisa; R. Elaser ben Dama und R. Juda ben Baba. Wieder anders lautet diese Angabe im Midrasch zu den Psalmen (Ps. 9); es werden ge­nannt: R. Simon b. G.; R. Ismael b. Eli-scha; R. Jeschebab, der Schreiber; R. Chuzpitz der Dolmetscher; R. Jose; R. Juda ben Baba; R. Juda Hanechtam; R. Simon b. Asai; R. Chanina ben Terad­jon und R. Akiba. Wieder ist es die Midraschschrift Tana de be Elia, die nur R. Ismael; R. Simon b. G. und R. Akiba nennt. Wie in Bezug auf die Per­sonenangabe, so verschieden wird auch die Zeit der Hinrichtungen genannt. Einige nennen den 5. Tischri, andere den 25. d. M., die Dritten für den Tod des Hohenpriesters den 27. Sivan, für den der anderen zwei den 5. Ellul, des Julianus und Pappus den 5. Adar. Überblicken wir diese Angaben, so fällt die Ungleichzeitigkeit der Männer auf, die genannt werden. R. Ismael der Ho­hepriester und R. Simon b. Gamliel lebten bis zur Tempelzerstörung durch Titus (7o), dagegen sind die anderen jüngere Zeitgenossen; ferner wissen wir von R. Elieser ben Schemua, dass er der Lehrer des Patriarchen R. Juda I. gewesen, wie kann man ihn mit obigem Lehrer in der ersten Hälfte des 2. Jahrh. vereinigen? Man nahm daher drei ver­schiedene Zeiten für die Hinrichtung dieser Märtyrer an: die des Hohen­priesters Ismael b. Elisa und des Patri­archen R. Simon b. G. zur Zeit der Er­oberung Jerusalems durch Titus; die des R. Akiba 6o Jahre später und die der anderen nach der Eroberung Bethars und Besiegung des barkochbaischen Aufstandes. Andere geben für sämtliche Märtyrer die Zeit der hadrianischen Verfolgung an und verstehen unter Is­mael nicht den Hohenpriester, sondern den Gesetzeslehrer R. Ismael; ebenso unter R. Simon b. Asai, ohne zu beden­ken, dass wir auch dadurch zu keiner Gleichzeitigkeit der Hinrichtung gelan­gen, da diese bei diesen und jenen nicht an einem Tage, sondern zu verschie­denen Zeiten vor und nach dem barko­chbaischen Aufstand stattgefunden habe. Wir schließen uns daher der ers­ten obigen Annahme von den drei ver­schiedenen Zeiten der Hinrichtungen an. Die Märtyrerlegenden in der jünge­ren Agada haben den Charakter der Sage, die es mit der Verwechslung von Personen und Zeiten nicht so genau nimmt und Richtiges mit Unrichtigem untereinander wirft. Sie lässt R. Eleasar ben Schemua den Märtyrertod sterben, während eine geschichtliche Notiz ihn zu den Gesetzeslehrern zählt, die nach der Aufhebung der hadrianischen Ver­folgungsedikte in Uscha wieder zu ei­ner Synode zusammentraten.