Sündenbekenntnis

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auch: Das reumütige Selbstgeständnis begangener Sünden als Zeichen einer inneren Um­wandlung wird in dem biblischen und nachbiblischen Schrifttum in seiner ganzen Bedeutsamkeit gewürdigt. Der Mosaismus hat das Sündenbekenntnis als Akt des öffentlichen Gottesdienstes bestimmt. Bei der Darbringung der Rind- und Schuldopfer zur Sühne von Privatvergehen wird das Ablegen eines reuevollen Sündenbekenntnisses ange­ordnet. »Wenn jemand verschuldet, bekenne er, was er gesündigt und bringe sein Schuldopfer wegen seiner Sünde, die er verübt hat«; ferner: »Mann oder Weib, wenn sie sich an ir­gend einer Sünde verschulden, sollen sie ihre Sünde bekennen und erstatten die Schuld nach ihrem Hauptwert und ein Fünftel darüber. « Mit besonderer Feierlichkeit war das Sündenbekenntnis vom Hohenpriester am Versöh­nungstag. »Und Ahron stütze seine beiden Hände auf den Kopf des Opfers und bekenne auf ihm alle Sünden der Söhne Israels und alle ihre Missetaten nach allen ihren Vergehungen. « Neben diesen Anordnungen für den öffentli­chen Gottesdienst wird auch das Sün­denbekenntnis im Privatleben bei ver­schiedenen Anlässen empfohlen. Wir zitieren darüber aus 3. M. 26. 40. »Und sie sollen ihre Sünden und die Sünden ihrer Väter bekennen nach ih­rer Treulosigkeit, die sie gegen mich begangen und mir zuwider wandel­ten«; ferner aus Hosea 14. 3.: »Neh­met mit euch Worte und kehrt zum Ewigen zurück«, sprecht zu ihm: »Jede Sünde vergibst du, nimm das Gute, mögen unsere Lippen die Opferstiere erstatten«; aus Spr. Sal. 28. 13. »Wer seine Sünden bedeckt, ist nicht glück­lich, aber wer dieselben bekennt, findet Erbarmen.« Auch die Weise des Sün­denbekenntnisses wird angegeben. Dasselbe spreche man in Aufrichtigkeit und Demut, in innerer Beschämung, unter Gebet und Tränen, um von der Sünde zu lassen und Vergebung zu er­halten. Beispiele von Sündenbekennt­nissen sind das der Söhne Jakobs vor ihrem Bruder Joseph, Pharaos vor Mo­ses, Moses in seinem Gebet für das Volk, des Achan vor Josua, des Königs Saul vor Samuel, Davids vor dem Pro­pheten Nathan, Ahabs vor dem Prophe­ten Elia u. a. m. Voll tiefster Seelener­güsse sind die Sündenbekenntnisse in den Büchern Esra und Nehemia, welche die religiöse Umwandlung des jüdischen Volkes bei der Wiederbegründung sei­nes zweiten jüdischen Staatslebens zum Ausdruck bringen. In dem talmudi­schen Schrifttum finden diese Lehren und Bestimmungen ihre weitere Ent­wicklung.

I. Das Sündenbekenntnis im Got­tesdienst. Den ersten Platz nimmt hier der feierliche Gottesdienst im Tempel zu Jerusalem am Versöhnungstag ein. Der Hohepriester, berichtet die Mischna, hat in demselben dreimal das Sündenbekenntnis abgelegt: erst für sich und sein Haus, darauf für sich, sein Haus und sämtliche Priester und endlich für sich, sein Haus, die anderen Priester und das Haus Israels, das ganze jüdische Volk. Die Formel dieser drei Sündenbekenntnisse war: des Ers­ten: »Ach, Herr, ich habe gefehlt, ge­sündigt und gefrevelt durch Abfall, ich und mein Haus! Ach, Herr, versöhne doch die Vergehungen, die Sünden und die Frevel des Abfalls, durch die ich ge­fehlt, gesündigt und gefrevelt, ich und mein Haus, denn also heißt es in der Lehre Moses: Denn an diesem Tag wird er über euch versöhnen, um euch zu reinigen von allen euren Sünden, vor dem Ewigen sollt ihr rein sein« (3. M. 16. 30). Diese Formel war auch für das zweite und dritte Sündenbekenntnis des Hohenpriesters, nur dass dem zweiten zuletzt hinzugefügt wurde: »Die Söhne Ahrons, dein heiliges Volk.« Dagegen wird in dem dritten Sündenbekenntnis, das der Hohenpries­ter im Namen des Volkes ablegt, anstatt der ersten Person: »ich« die dritte Per­son: »sie« gebraucht; es lautete: »Ach, Herr, sie haben gefehlt, gesündigt und gefrevelt durch Abfall, dein Volk, das Haus Israels! Ach, Herr, versöhne doch die Vergehungen, die Sünden und die Frevel des Abfalls, durch die sie gefehlt, gesündigt und abgefallen sind, denn so heißt es in der Lehre Moses: Denn an diesem Tage versöhnt Gott über euch, um euch von allen Sünden zu reinigen vor dem Ewigen sollt ihr rein sein.« Spätere Gesetzeslehrer suchten in der Bibel Begründungen für diesen ganzen gottesdienstlichen Akt des Hohenpries­ters auf. Den Befehl zur Ablegung des Sündenbekenntnisses finden sie in dem Ausspruch: »Und er (der Hohepriester) soll auf ihm alle Sünden der Söhne Is­raels bekennen nach all ihren Misseta­ten« (3. M. 27). Die Formel des Sün­denbekenntnisses: »Ich habe gefehlt, gesündigt und gefrevelt«, wo erst die Sünden aus Irrtum, dann die des Mut­willens und zuletzt die des Abfalls be­kannt werden, ist nach Ps. 106. 6.: »Wir haben gefehlt, gesündigt und ge­frevelt« und 1. K. 8. 47. »Wenn sie in dem Land ihrer Gefangenschaft zu dir flehen und sprechen: >Wir haben ge­fehlt, gesündigt und gefrevelt< und end­lich nach Daniel 9. 5.: Wir haben ge­fehlt, gesündigt und gefrevelt.« Nächst diesem Sündenbekenntnis im Tempel­gottesdienst nennen wir das in der Syn­agoge. Nach der Zerstörung des Tempels in Jerusalem, mit der die Auflösung des Opferkultus verbunden war, trat der Gottesdienst der Synagoge an des­sen Stelle. Das Sündenbekenntnis, das der Hohepriester am Versöhnungstag im Tempel zu Jerusalem für das ganze Volk ablegte, sollte jetzt von jedem ein­zelnen Israeliten für sich selbst abgelegt werden. So treffen wir schon im 1. Jahrhundert nach der Zerstörung des Tempels die bedeutendsten Gesetzes­lehrer R. Juda ben Baba und R. Akiba über die Formel des Sündenbekennt­nisses in der Synagoge diskutieren. Ers­terer behauptete, man müsse die be­gangenen Sünden einzeln nennen, wobei er sich auf das Gebet Moses für das Volk in 2. M. 32..: »Ach, dieses Volk hat eine große Sünde begangen, sie machten sich ein gegossenes Kalb!. berief. Dagegen zitierte letzterer den Psalmvers: »Heil dem, dessen Abfall vergeben wurde, dessen Fehl bedeckt ist.« So war man über die Formel des Sündenbekenntnisses für den Gottes­dienst der Synagoge noch lange nicht einig. Der größte Teil der Gesetzesleh­rer im 2., 3. und 4. Jahrhundert in Pa­lästina und Babylonien huldigte der Meinung des R. Akiba und war mit der Abschaffung von Formeln der Sünden­bekenntnisse am Versöhnungstag, in denen die Sünden nur allgemein, aber nicht einzeln, erwähnt wurden, be­schäftigt. So kennt man eine Formel des Lehrers R. Juda im 2. Jahrh. n., die kurz lautete: »Gar viel sind unsere Sün­den, sie zu nennen, unsere Vergehungen zahlreich, dass ich sie aufzähle usw. « Anders lautete die des Lehrers R. Jochanan im 3. Jahrh. n.: »Nicht in un­serer Gerechtigkeit flehen wir vor dir, sondern im Vertrauen auf deine große Barmherzigkeit. Denn was sind wir, was unser Leben, unsere Frömmigkeit, unsere Gerechtigkeit, unsere Hilfe, un­sere Kraft und Macht? Was haben wir dir, Herr, vorzubringen, alle Helden sind wie ein Nichts vor dir, die Männer von Namen als wären sie nie gewesen, die Weisen wie ohne Kenntnis usw.« Hierher gehört ferner die des R. Be­rechja ben Abba: »Ich bekenne, dass ich Böses getan, mich auf schlechtem Weg befinde; aber wie ich getan, werde ich nicht mehr tun. Es wolle dir, Herr, wohlgefällig sein, mir meine Sünden zu vergeben, meinen Abfall zu verzeihen und meine Vergehungen zu versöh­nen«, denn also heißt es: »Es verlasse der Frevler seinen Wandel, der Sünder seine Gedanken, er kehre zum Ewigen zurück, denn er ist groß im Verzeihen!« Von den Lehrern in Babylonien wird die kurze Formel des Lehrers Samuel (im 3. Jahrh.) genannt: »Aus der Tiefe meines Herzens rufe ich, Herr, zu dir! Denn an diesem Tag versöhnt der Ewige über euch, um euch von allen Sünden zu reinigen, vor dem Ewigen werdet ihr rein.« Weiter wird von die­sem Lehrer erzählt, dass er sich in der Synagoge nur bei den Worten des Vor­beters: »Fürwahr, wir haben gesün­digt! « erhob; er betrachtete nur dies als eigentliches Sündenbekenntnis. Tiefer und inhaltsreicher ist die Formel des Lehrers Abba Areka, genannt Rabh: »Du kennst die Geheimnisse der Welt, die Heimlichkeiten aller Lebenden, durchsuchst alle Falten unseres Inneren und prüfst Nieren und Herz usw.« Et­was länger lautete die Formel des Rab Hamnuna (im 4. Jahrh.): »Mein Gott! Bevor ich geschaffen wurde, war ich nichts wert, jetzt nachdem ich geschaf­fen bin, ist es, als wenn ich nicht ge­schaffen wäre. Staub bin ich im Leben, wie erst nach meinem Tod usw. Möge es dein Wille sein, dass ich nicht mehr sündige usw.. Indessen scheinen im 4. Jahrh. die Formeln von größeren Sün­denbekenntnissen mit Aufzählung der einzelnen Sünden in Gebrauch gekom­men zu sein, gegen welche die bedeu­tendsten Lehrer auftraten oder sie be­schränkt wissen wollten. So lehrte Rab Juda im Namen Rabhs, dass man nur bekannte Sünden einzeln nennen darf, aber nicht solche, die noch nicht veröf­fentlicht sind. Rab Sutra b. T. zitierte eine Lehre des Rab Nachman: »Nur die Sünden gegen die Menschen, aber nicht gegen Gott dürfen im Sündenbe­kenntnis einzeln genannt werden.« Die Anhäufung von diesen und ähnlichen Formeln wuchs endlich so sehr, dass sich ein Lehrer dieser Zeit, Mar Sutra, zur Äußerung veranlasst sah: »Man brauche nur die Worte zu sagen: Für­wahr, wir haben gesündigt!< und es ge­nügt.« Auch Rab Schescheth tadelt die Aufzählung der einzelnen Sünden in dem Sündenbekenntnis; er rief beim Anhören derselben: »Wie frech ist die­ser, der seine Sünden veröffentlicht!. Doch lassen wir nicht das Sündenbe­kenntnis von Maimonides für den Vor­abend des Versöhnungstages uner­wähnt. Dasselbe lautet: »Herr, ich habe gefehlt, gesündigt und gefrevelt, dies und jenes verübt. Jetzt fühle ich Reue und schäme mich vor meinen Hand­lungen, nie will ich das Vergehen wie­derholen! « Sämtliche hier genannten Sündenbekenntnisse wurden in die Sy­nagogen-Liturgie für den Versöhnungs­tag aufgenommen. Nachtalmudisch etwa aus dem 8. Jahrh. sind daselbst die Sündenbekenntnisse: »Aschamnu«, »Wir haben verschuldet« und Al-Chet, »Wegen der Sünde«, die von obigem Grundsatz, nicht die Sünden einzeln aufzuzählen, abweichen und eine Auf­zählung verschiedener Sünden enthal­ten. Das jüngere Alter derselben wird durch die Form des Alphabets verra­ten. Wir lassen hier noch einige Lehren folgen. »Sünden, die man an einem Versöhnungstag bekennt, soll man an dem anderen nicht wieder bekennen, wenn dieselben sich nicht im Laufe des Jahres wiederholt haben.« Ferner: so der Mensch sündigt, die Sünden reuig bekennt und sie nicht wiederholt; er gleicht dem, der das reine Tier, das er in seiner Hand hielt, wegwarf. Denn also heißt es: »So er bekennt und ab­lässt, er findet Erbarmen (Spr. Sal. 28.).« »Nehmt mit euch Worte und kehrt zum Ewigen zurück (Hosea 14.).« Komme und siehe, wie die Eigenschaften Gottes verschieden von denen des Menschen sind. »Wer seinen Frevel bedeckt, ist nicht glücklich, aber wer ihn bekennt und denselben unter­lässt, findet Erbarmen (Spr. Sal. 28. 13.).« Wird jemand, der geraubt hat, vor den Richter gebracht, geschieht es, dass er bei Leugnung seines Frevels frei kommt, aber, so er eingesteht, bestraft wird, das Gegenteil findet bei Gott statt. Der Frevler wird bei reuigem Sündenbekenntnis frei, aber auf Leug­nung seiner begangenen Sünden be­straft. »Ich rächte mit dir, weil du sprichst, ich habe nicht gesündigt (Je­remia 2. 38.) «; nur in Folge dieses Ver­gehens brachte Gott über Jerusalem das Strafgericht.

II. Das Sündenbekenntnis im Hause. Das Gebot zur Ablegung eines reuigen Sündenbekenntnisses auch außerhalb der Synagoge wird in 4. M. 5. 7. »Und sie sollen ihre Sünden bekennen, die sie getan«, nachgewiesen. So soll der Kranke, den man dem Tod nahe hält, zur Ablegung des Sündenbekenntnisses aufgefordert werden. Wer krank ge­worden und dem Tode nahe ist, dem rufe man zu: »Bekenne deine Sünden!« Auch der zum Tode Verurteilte wurde in einer Entfernung von 10 Ellen von der Richtstätte zur Ablegung eines Sün­denbekenntnisses aufgefordert, ging er nicht darauf ein, so redete man ihm zu, wenigstens die Worte zu sprechen: »Es bringe mein Tod die Vergebung aller meiner Sünden!« Ebenso war das Sün­denbekenntnis bei Vergehungen gegen Menschen, wenn dem Verletzten Ab­bitte getan wurde, eine unerlässliche Bedingung. Nach Maimonides lautete die Formel: »Es ist wahr, ich habe ge­gen N. N. gesündigt und diesen Frevel — gegen ihn ausgeführt, aber ich bereue mein Fehl und tue Buße.« War der Be­leidigte gestorben, soll der Sünder auf dem Grabe desselben in Gegenwart von zehn Leuten bekennen:»Ich habe gegen Gott und gegen N. N. gesündigt, habe dies gegen den Verstorbenen ge­tan usw.«