Religionsphilosophie

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Weisheit. Die Religionsphilosophie, die auf For­schung nach Grund, Zweck, Ziel usw. beruhende Erkenntnis der Religion in ihren Lehren und Gesetzen — war bei den Juden früh heimisch. In dem bibli­schen Schrifttum sind die Mahnrufe: »Dir ist es gezeigt worden zu erkennen, dass der ewige Gott ist und keiner mehr! « »So erkenne es heute und führe es deinem Herzen zu, dass der ewige Gott ist, im Himmel oben, auf der Erde unten, sonst keiner!« »Erkenne den Gott deines Vaters und diene ihm mit williger Seele.« »Nur dessen rühme sich der Ruhmsüchtige: betrachten und mich erkennen, spricht der Ewige«, welche auf die Erwerbung dieser Er­kenntnis dringen und sie gewisserma­ßen den Israeliten zur Pflicht machen. Gott, sein Wesen, seine Eigenschaften, die Schöpfung, die Welt, der Mensch, seine Seele, die menschliche Willens­freiheit, die göttliche Vorsehung, die Offenbarung, das Gesetz, die Unsterb­lichkeit, die Vergeltung u. a. m. bilden die Themata derselben; sie sollen ver­standesgemäß erforscht und nach Ver­nunftsgründen dem Menschen vorge­führt und erklärt werden. Die Religionsphilosophie hat nicht das vo­raussetzungslose Denken, das aprioris­tische Forschen der Philosophie zu ih­rer Grundlage, sondern geht von dem Positiven, der Offenbarungslehre aus und will Gott in dem Spiegel seiner Werte, in der Natur und in der Ge­schichte gleichsam nachblicken, auf­schauen und nachweisen. Zu der Ge-stak, wie sie uns in dem biblischen Schrifttum vorliegt, bemerken wir eine Verschiedenheit ihrer Darstellung, die auf eine geschichtliche Entwicklung hinweist. In den Büchern des Penta­teuchs und der Propheten haben wir meist nur die Mitteilung der Resultate dieser Forschung in kurzen Sätzen, aber nicht ihren Ideengang selbst in seinem langsamen Fortschreiten und in den logischen Herleitungen von Satz zu Satz, wie wir dies in den Lehrsyste­men der Philosophie gewohnt sind. Der religiöse Dichter oder der Prophet liebt es, die Prämissen früher in seinem Gemüte mit sich selber abzumachen und darauf mit den gewonnenen ferti­gen Resultaten aufzutreten. So beginnt der Prophet, der über die göttliche Vor­sehung und Vergeltung spricht, gleich­sam aus der Mitte seiner Betrachtung mit dem Satze: »Der Hort, ganz ist sein Werk, denn all seine Wege sind Recht; ein Gott der Treue ohne Unrecht; ge­recht und redlich ist er!« oder: »Gehet jetzt, denn ich, ich bin es, kein Gott bei mir; ich töte und belebe, verwunde und heile und niemand rettet aus meiner Hand!« Erst die Schriften des dritten Teils der Bibel, der Hagiographen, bringen vollständig abgerundete, religi­onsphilosophische Abhandlungen. So behandelt das Buch Hiob die Vergel­tungslehre oder »Die Leiden des Ge­rechten im Einklange mit der göttlichen Gerechtigkeit«, das philosophisch sämt­liche Meinungen dafür und dagegen mit ihren Vertretern anführt und sie wider­legt, bis es zuletzt zu einem andern Re­sultat gelangt, das als die erwiesene Lehre dargestellt wird. Ebenso philo­sophiert das Buch Koheleth über die Bestimmung des Menschen, das höchste Gut und die Idee der Unsterb­lichkeit. Auch die Psalmbücher haben in einzelnen Psalmen zusammenhängende Betrachtungen über verschiedene Themata aus der Glaubens- und Sitten­lehre, als z. B. der Psalm 78 über die Vergeltung, Ps. 139 über die Allwissen­heit und Allgegenwart Gottes, Ps. 73 und 93 über des Frevlers Glück und die Gerechtigkeit Gottes, Ps. 90 über die Ewigkeit Gottes, Ps. 147. 148. 103. 104 über die Schöpfung u. a. m. Es ist hier nicht der Raum, diese Philoso­pheme in ihren verschiedenen Entwick­lungsstufen geschichtlich darzustellen. Einen neuen Impuls zu dieser Art von Philosophieren gab die Berührung des Judentums mit dem Griechentume. Das Bekannt- und Vertrautwerden mit der Denk- und Lebensweise der Grie­chen und die Kenntnis ihrer philoso­phischen Schriften haben eine neue geistige Bewegung unter den Juden hervorgerufen. Es machte sich bei ih­nen das Streben geltend, die Lehren ih­rer heiligen Schriften mit den Anschau­ungen der griechischen Weisen in Einklang zu bringen und sie in dem Gewand griechischer Weisheit erschei­nen zu lassen. So entstand die alexan­drinische jüdische Philosophie, die in der Geschichte der Religionsphiloso­phie eine bedeutende Rolle spielt. Schon in der griechischen Bibelüberset­zung Septuaginta bemerken wir, wie die Übersetzer an der wörtlichen Wie­dergabe der sinnlichen Ausdrücke von Gott und seinen Taten in der Bibel Anstoß nahmen und für dieselben Um­schreibungen und Bezeichnungen setz­ten, welche jede grobsinnliche Vorstellung von Gott beseitigen sollten. In den Übersetzungen der Kapitel von der Schöpfung sind sogar Ansätze von Phi­losophemen, die an die spätere philo­nische Kosmologie erinnern. In dieser Richtung philosophieren die Arbeiten des alexandrinischen Aristeas (im z. Jahrh. v.): der Brief und der philosophi­sche Bibelkommentar, von dem sich nur einige Bruchstücke erhalten haben. In dem Briefe wird über die den Gesetzen zugrunde liegenden Ursachen, Prinzi­pien, philosophiert. Im Allgemeinen hält er die Gesetze als die unzerstörba­ren Wälle und die eisernen Mauern zum Schutze vor dem Heidentum. Spezielle­res weiß er von den Speisegesetzen an­zugeben. Die zum Genuss erlaubten Tiere sind zahme und von ausnehmen­der Reinheit, aber die verbotenen ge­walttätig und räuberisch. Der Grund des Verbotes gegen dieselben ist sinn­bildlich, der Israelit lebe und handle nicht gleich diesen gewalttätig, sondern wie jene gerecht und sanft. Die zum Ge­nuss erlaubten Tiere sind die mit den gespaltenen Klauen als Symbol, das Böse vom Gutem zu scheiden und nach Gerechtigkeit zu handeln. Das Wieder­kauen derselben ist das Bild der Erin­nerung, dass wir der göttlichen An­ordnung für den Bestand und die Verschönerung des Lebens gedenken sollen. Als Kern der Frömmigkeit wird die Liebe und nächst der Liebe die De­mut bezeichnet. Weiter erklärt auch er die biblischen Antropomorphismen, die nicht buchstäblich genommen werden dürfen. Viel tiefer und ergiebiger sind die Philosophemen dieser Art in den vorhandenen Bruchstücken des Kommentars zum Pentateuch von dem jüdischen Philosophen Aristobul (181- 145). Auch bei ihm sind es meist die Antropomorphismen in der Bibel, die er zu erklären sucht. Es bedeutet nach ihm die Hand Gottes die göttliche Macht, das Sprechen Gottes die Kund­gebung dieser Macht, die Ruhe Gottes die Unveränderlichkeit der göttlichen Werte, auch der Bestand der Weltord­nung, die Erscheinung Gottes auf Sinai in Feuer, Donner und Blitz das Bild der wunderbaren Offenbarung. In der Kos­mologie sagt er von Gott, er sei nicht bloß der Herr, sondern auch der Schöp­fer der Welt, von dem nur Gutes aus­geht; das Schädliche kommt nur aus seinem Gefolge. Von der göttlichen Weisheit wird angegeben, dass die Welt ihr Werk sei. In dem apokryphischen Buch der Weisheit Salomos finden wir neben selbstständigen auch viele plato­nische Ideen. In Kapitel I. 4, 8. 20, 9. 15 ist der Leib der Sitz der Sünde und 9. 15 der Kerker der Seele; Kapitel 8. 19-20 lehrt die Präexistenz der Seele; Kapitel 1. 13, 2. 23 die Unsterblichkeit der Seele; Kapitel 11. 17 die Weltbil­dung aus gestaltlosem Urstoffe durch die göttliche Intelligenz; Kapitel 7. 22. 24 stellt die Weisheit als intelligenten Geist und als die alles durchdringende Weltseele, das Mittelwesen zwischen Gott und Welt, den Aeon, den Philo (s. weiter) als Logos bezeichnet und ihn »Weisheit« nennt. Eine Menge von sto­ischen Lehren hat das vierte Makkabä­erbuch. Unter diesen und andern Män­nern, die auf diesem Gebiete weiter arbeiteten, nimmt Philo der Alexandri­ner oder Philo der Philosoph die her­vorragendste Stelle ein, schon wegen der Reichhaltigkeit seiner philosophi­schen Arbeiten, aber noch mehr in Folge seines großen Einflusses auf die Mit- und Nachwelt in jüdischen, heid­nischen und christlichen Kreisen. Im Judentume sind seine Philosopheme bis nach Palästina gedrungen, wo sie bei den Volks- und Gesetzeslehrern Ein­gang fanden, die sie unter verschiede­nen Modifikationen weiter verbreite­ten, bis dieselben von ihnen in die Geheimlehre einmündeten und in der nachtalmudischen Zeit die Basis man­chen kabbalistischen Systems wurden, aber auch in einigen religions-philoso­phischen Arbeiten der philosophisch gebildeten Juden im Mittelalter ihre Auferstehung feierten. Wir halten es notwendig, die philolonische Philoso­phie mit ihren Lehren, die gewisserma­ßen die Grundlage der Religionsphilo­sophie in Talmud und Midrasch geworden, in ihrem Zusammenhange mit der Bibel und dem Talmud hier darzustellen. I. Gott, Erkennbarkeit Gottes, sein Wesen, seine Eigenschaften, Antropo­morphismus. Von »Gott« wird mehr in negativen als in positiven Bezeichnun­gen gesprochen. »Gott« an sich, sei­nem Wesen nach, ist für unsere Sinne unfassbar, unerkennbar, für unsere Be­griffe unbezeichenbar, ohne Eigen­schaft und ohne Namen. Das Sein al­lein, dass Gott ist, aber nicht, was er ist, kann von ihm ausgesagt werden. Der »Seiende« ist die richtige einzige Benennung für ihn, welche zugleich die des biblischen Tetragammatons Jhvh ist. Der göttliche Auftrag an Moses, Gott in diesem Namen den Israeliten zu verkünden (2. Mos. 2), lautete nach Philo: »Lehre die Kinder Israel, ich sei der Seiende, damit sie den Unterschied zwischen dem Seienden und dem Nichtseienden kennen lernen und zu­gleich erfahren, dass mir, der allein das wahre Sein ist, gar kein Name beson­ders zukommt.« Nur aus der Bezie­hung Gottes zur Welt vermögen wir ihn näher zu bestimmen. Aus dem Ge­gensatze Gottes zur Welt ist Gott der Ungewordene, Ewige, Erhabene, alles Umfassende, der Geist über den Stoff, der Schöpfer über das Geschaffene. Als solcher schließt Gott alle Realitäten in sich; er ist das Urbild der Schönheit, das absolute Selige und Vollkommene, oder mit anderen Worten: »Gott ist besser als die Tugend und das Wissen, besser als das Gute und Schöne, erha­ben über jedes Lob und jede Benen­nung, das schlechthin einfache, unver­änderliche, ewige Eine, für das selbst der Name des einfach Einen nicht angemessen ist.« Auf diesem Wege gelangte Philo auch zu seinen andern positiven Angaben von Gott. Er be­zeichnete ihn als die Vernunft des Weltganzen, die alles erfüllt und umfasst und alles durchschaut. Er ist allmäch­tig, allwirksam, allgegenwärtig usw. und heißt deshalb »der Ort«, dem er erklärend hinzufügt: »Gott ist sich selbst der Ort, als erfüllt von seinem Wesen, sich selbst genug.« So wird er von nichts umschlossen, denn er ist eins und alles. Weiter nennt er das Licht als Bild für Gott. »Gott ist das Urlicht, aus dem unzählige Strahlen ausströmen, die Quelle des reinsten Lichtstrahls, das Urbild alles andern Lichtes«; ferner: »Gott ist die Sonne der Sonne.« Diese positiven Bezeich­nungen Gottes ergeben sich ihm aus Gottes Beziehung zur Welt und stehen somit nicht mit seiner Lehre oben von der Unerkennbarkeit »Gottes an sich« in Widerspruch. Um jedem Missver­ständnisse vorzubeugen, fragt er aus­drücklich: »Gott ist nicht (im Sinne des Pantheismus) im Raume, in der Zeit, hat keine menschliche Gestalt, keine menschlichen Affekte, von ihm ist nichts Böses und kein Übel; er hat überhaupt keine Ähnlichkeit mit einem Geschöpfe. Er ist ewig, unveränderlich, einfach, frei und selbstgenügsam, so dass nur ihm das Sein in wahrem Sinne zukommt.« Ein Analogon für diese Zeichnung Gottes findet er in dem Geiste des Menschen. Für die Feststel­lung der Existenz Gottes gegenüber den Leugnern gilt ihm der physikotele­ologische Beweis mit seinem Schluss: »Denn kein Kunstwerk entsteht von selbst. Höchst kunstvoll aber ist die Welt, so muss sie auch von einem We­sen mit vortrefflicher und höchst voll­kommener Vernunft gebildet sein.« In­teressant ist bei Philo, wie er diese Philosopheme mit den Aussprüchen und Lehren der Bibel auszugleichen sucht oder gar dieselben in ihnen nach­weist, oder für sie Begründungen sucht. Die heiligen Schriften seines Volkes galten ihm als die Quelle tiefster Weis­heit und göttlicher Eingebung. Wir bringen hiervon 1) Über die Lehre von der Erkenn­barkeit und der Unerkennbarkeit Got­tes. Die Lehre von der Unerkennbar­keit Gottes steht scheinbar im Widerspruch mit den oben zitierten bi­blischen Mahnrufen: »Gott zu erken­nen!« Philo bezieht dieselben auf die Werke Gottes, in denen Gott sich dem Menschen offenbart und von ihm er­kannt sein will. So findet er in 2. M. 20. 18: »Moses trat in das Düstere (Dunkel), wo daselbst Gott war«, die Angabe von der unerkennbaren Natur des göttlichen Wesens. Deutlicher geht ihm dies aus der Stelle 2. M. 33, 13 und 19, der Bitte Moses, um die Gotteserkenntnis, Got­tes Herrlichkeit zu schauen, hervor; er erklärt dieselbe. Moses hat die Bitte an Gott gestellt, ihm das Angesicht, d. h. das Wesen Gottes selbst, die reinste Idee des Seienden schauen zu lassen, da ihm die Welt immer nur das Sein Got­tes, aber nie die Art dieses Seins gezeigt habe. Die Antwort darauf war, er be­gehe etwas Unmögliches, da er dies durch die Schranken der menschlichen Fassungskraft nicht erlangen könne. 2. Die Bezeichnung Gottes als »das Sein«, oder »der Seiende«. Dieselbe sucht Philo, wie bereits erwähnt, in dem biblischen Gottesnamen »Jhvh« nach­zuweisen. Auf einer anderen Stelle sagt er darüber: »Das ist sein Name, das reine Sein oder der Seiende selbst, wie er in den vier heiligen Buchstaben Jhvh ausgedrückt ist, unbegreiflich, unaus­sprechlich für alle, deren Ohren und Zungen nicht gereinigt sind, ein Name, der auch den Weisesten, die ihn im Hei­ligtume aussprachen, das Geheimnis seines Wesens noch nicht enthüllt. « Fer­ner: »Vier Buchstaben hat der Gottes­name >Jhvh<, denn in ihm ist alles ent­halten: Punkt, Linie, Fläche, Körper, die Maße aller Dinge und die Harmo­nie der Töne.« Hieran reihen wir seine Nachweise: 3. Über die Lehre von der Außer-und Überweltlichkeit Gottes. Die Lehre von der Außer- und Überweltlichkeit Gottes hat die biblische Lehre von der Gegenwart Gottes in der Welt schein­bar gegen sich. Einen Ausgleich findet Philo darin, dass er die Verbindung Gottes mit der Welt in sein Wirken setzt. Gott ist, lehrte er, seinem. Wesen nach erhaben über die Welt, doch er­füllt er alles durch sein Wirken. Wenn die Schrift sagt: »Gott ist oben im Him­mel und unten auf der Erde«, so ist dies nicht nach seinem Wesen, sondern von seinem Wirken. Er durchzieht al­les, setzt ordnend und sondernd, verknüpfend und bindend, fasst alles in sich als den Ort von allen zusammen, ist überall und doch wieder nirgends, da ihn selbst nichts zu umfassen ver­mag; er umschließt alles gleichsam im Kreise, setzt Grenzen jedem Ding und bestimmt als Wagenlenker und Steuer­mann dessen Verlauf usw. »Die Welt, das Haus Gottes, gehört notwendig zu ihm, wie die Erscheinung zum Wesen, ihr Untergang wäre sein eigener Tod (d. h. seiner lebendig wirkenden Ge­genwart).. Gott ist nicht der Schöpfer der Welt, sondern nur deren Bildner, weil die Materie, als sein düsteres Wi­derspiel, nicht von ihm herrühren kann. Ein fernerer Nachweis betrifft: 4. Die oben angegebene Zeichnung Gottes als völlig eigenschaftslos und unnennbar. Gegen dieselbe sprechen ebenfalls die in der Bibel vorkom­menden Gotteseigenschaften und Got­tesnamen. In Bezug auf die Eigen­schaftslosigkeit Gottes wird angegeben, dass das Verbot der Götzenbilder in z. M. 20. 3, 5. M. 5. 7, von Gott sich eine Gestalt zu machen, die Eigenschaftslo­sigkeit Gottes lehrt, denn die Götzen­bilder beruhen auf der Annahme, dass Gott eine Eigenschaft beigelegt werden könne, was hier verboten wird. Die dennoch vorkommenden Gotteseigen­schaften bezeichnen nicht Gott an sich, sondern sind seiner Beziehung zur Welt, seinen Werken, entnommen. Größere Schwierigkeiten machten Philo: 5. Die Anthropomorphismen in der Bibel, die Gott mit menschlichen Eigenschaften ausstatten und nach menschlicher Gestalt zeichnen. Er hält dieselben, wie sein Vorgänger Aristo­bul, als aus einer Anbequemung an die Schwächen der Menschen hervorge­gangen. Die Masse der Menschen ver­mag nicht das Göttliche in seiner Rein­heit zu fassen; um ihnen jedoch die göttliche Lehre beizubringen, hat man die anthropomorphistische Form ge­wählt. Den Beweis hierzu findet er in der Zusammenstellung zweier Penta­teuchverse: 4. M. 23. 19 »Gott ist kein Mensch, dass er lüge, kein Erdensohn, dass er sich bedenke«, wo jede mensch­liche Eigenschaft von Gott verneint wird, und 5. M. 1. 31 »Dich hat der Ewige, dein Gott getragen, wie ein Mann seinen Sohn trägt«, die dem zu­wider sprechen scheint, was nur da­durch gehoben wird, wenn man an­nimmt, dass Gott aus pädagogischen Rücksichten bisweilen wie ein Mensch dargestellt wird. Ebenso spricht er sich über die Anthropopathismen in der Bi­bel aus. Gott an sich ist ohne jeden Af­fekt, wird aber in menschlicher Weise so dargestellt, als hätte er Leidenschaf­ten. So erklärt er die Stelle in 2. M. 2. 12: »Moses schaute in seine Seele, da war alles in Aufruhr; er sah nur Gott ohne diese innere Bewegung.« Weiter erklärt er die biblische Lehre von der Gottähnlichkeit des Menschen dahin, dass es in 1. M. 1. 27 von der Schöp­fung des Menschen nicht heißt: Gott schuf am Menschen das Ebenbild Got­tes, sondern er machte den Menschen nach dem Ebenbilde Gottes, d. h. nach dem Logos. Die Stelle in 1. M. 6. 6. »Gott bereute, dass er den Menschen geschaffen«, erklärt er, dass Gott sich der in ihm ruhenden Erkenntnis und der nach außen hin wirkenden Einsicht bediene, wenn er seine Werke be­trachte. Er lobe diejenigen, die in ihrer Ordnung bleiben und strafe die, wel­che sie verlassen. Die Namenlosigkeit Gottes gegenüber den in der Bibel ge­brauchten göttlichen Benennungen macht ihm keine weiteren Schwierig­keiten; er sagt darüber: »Damit aber das Menschgeschlecht des Vorzuges nicht entbehre, das höchste Wesen auch in der Sprache zu besitzen, ist ih­nen erlaubt, relative Namen zu gebrau­chen, die einzelne Eigenschaften Gottes bezeichnen,« Dass auch der eigentliche Gottesname »Jhvh«, das Tetragram­maton, nicht gebraucht werden soll, findet er in 2. M. 20., in dem dritten Gebot. Die obige Lehre endlich, dass Gott nicht im Raume ist, wird biblisch begründet. Aus 1. M. 22. 3, 4 beweist er, dass Abraham erkannte, dass Gott über die Schöpfung hinaus liege. Dem göttlichen Ruf an Adam in 1. M. 3. 9 deutet er, als wenn er lautete: »Adam, du bist irgendwo, aber Gott hat kein Sein im Raume, wie du annahmst, als du dich vor ihm verstecktest!« Diese philonischen Philosopheme haben, wie bereits oben angegeben, bei den Volks-und Gesetzeslehrern in Palästina in den ersten drei Jahrhunderten Eingang ge­funden, von denen die, welche mit der reinen Bibellehre in Widerspruch zu ste­hen schienen, nur unter einer bestimm­ten Modifikation weiter gelehrt wurden. Es ist für die Geschichte der jüdischen Religionsphilosophie von nicht unbe­deutendem Interesse, diese Modifikatio­nen oder Umgestaltungen der philoni­schen Philosopheme in den Talmuden und Midraschim kennen zu lernen. In­dem wir besonders auf den Artikel » Ge­heimlehre« verweisen, bringen wir hier das Hauptsächlichste davon in seiner geschichtlichen Entwicklung. a. Die Bezeichnung Gottes als des Weltenortes. Die Benennung Philos »Gott als der Weltenort«, und sein dunkler Ausspruch: »Gott ist das All« oder »Gott und das All sind ein und dasselbe«, der pantheistisch klingt nebst einer dritten Bezeichnung von ihm: »Gott wird >Ort< genannt, weil er das Wesen ist, das alles umfasst und in sich schließt«, erhalten bei den Lehrern im talmudischen Schrifttum eine Um­gestaltung, die jeden Pantheismus aus­schließt. Der »Ort«, hebr. »makom« war auch bei den Volkslehrern des ers­ten, zweiten und dritten Jahrhunderts eine Lieblingsbenennung für »Gott«, dagegen kommt dieselbe in den Aus­sprüchen der Volks- und Gesetzesleh­rer vor dieser Zeit nicht vor. Es scheint, dass dieser Name für »Gott« von au­ßen, von den Alexandrinern, in das Ju­dentum eingedrungen sei. Ein Lehrer gegen die Mitte des zweiten Jahrhun­derts n., R. Jose ben Chalephta, in des­sen Aussprüchen sich viele alexandrinische Philosopheme finden, bringt auch obige philonische Lehre von Gott als dem Weltenort, aber in einer Modi­fikation, die sie zu einer jüdisch-paläs­tinensischen umgestaltet. Er lehrte: »Wir wissen nicht, ob Gott der Ort der Welt oder ob die Welt der Ort Gottes sei«; es heißt: »Siehe, der Ort ist bei mir« (2. M. 33. 21 ), was deutlich aus­spricht, dass Gott der Ort der Welt, aber die Welt nicht der Ort Gottes ist. Ähnlich spricht sich sein Zeitgenosse R. Jizchak aus: Es heißt: »Die Woh­nung des Gottes der Vorzeit« (5. M. 33. 27), »wir wissen nicht, ob Gott die Wohnung der Welt oder die Welt die Wohnung Gottes sei«, aber die Worte: »Eine Wohnung (Zufluchtsstätte) warst du uns von Geschlecht zu Geschlecht (Ps. 90)« sagen, »Gott ist die Wohnung der Welt, aber die Welt nicht die Woh­nung von Gott. « Noch im dritten Jahr­hundert n. sieht sich der Gesetzeslehrer R. Ami zu der Erklärung genötigt: »Warum heißt Gott >der Ort<? Weil Gott der Ort der Welt ist, aber die Welt nicht der Ort Gottes.« Wir merken, dass diese philonische Lehre bei den Volks- und Gesetzeslehrern in Paläs­tina Anstoß erregte und sie nur unter der angegebenen Umgestaltung zuge­lassen und weiter gelehrt wurde. Noch Maimonides (im 12. Jahrh. n.) bemerkt in Bezug auf dieselbe, dass sie, die Leh­rer im Talmud, lehrten: »Gott habe seine Wohnstätte auf der Welt, aber nicht in der Welt, d. h. innerhalb der Materie«, um von Gott jede pantheistische Vorstellung fern zu halten. Schlim­mer erging es: b. der Lehre von der Gottähnlich­keit des Menschen, die er als die Ähn­lichkeit mit dem Logos (gleichsam dem Untergott) hält. Dieselbe wurde von R. Akiba im ersten Jahrhundert n., als er sie von seinem Zeitgenossen Pappus vortragen hörte, als antijüdisch per­horresziert. »Siehe, der Mensch ist wie einer von uns (1. M. 3. 22.)«, d. h., lehrte Pappus, »wie einer der Engel!« »Genug davon!« entgegnete ihm ,R. Akiba. »Die Gottähnlichkeit des Men­schen«, lehrte dieser, »bezieht sich auf dessen Freiheit, das Gute oder das Böse zu wählen.« Aber schon die Kabbala und teilweise auch die Mystik haben die philonische Lehre von der Gottähn­lichkeit des Menschen, wie dieselbe von Pappus vorgetragen und von R. Akiba als unjüdisch zurückgewiesen wurde, wieder aufgenommen. Deutlich ist die betreffende Lehre im Buche So-har: »Gott schuf den Menschen in sei­nem Bilde«, nämlich in dem des Meta-tron. Auf einer anderen Stelle heißt das Himmelswesen, nach dessen Bild der Mensch geschaffen wurde, der obere Mensch, der himmlische Adam. c. Die Einheit Gottes. Die Lehre von der Einheit Gottes erhält bei Philo durch sein Philosophem vom Logos (s. weiter), der als zweiter Gott, Schöpfer und Erhalter der Welt, dargestellt wird, trotz seiner ausdrücklichen Verkündi­gung des Monotheismus eine gar arge Trübung, die später die Trinität des Christentums befestigen half. Die Volks- und Gesetzeslehrer verwahrten sich in ihren Lehren mit Nachdruck gegen jede Annahme von Untergöttern. Wir bringen von demselben: »Mein Teil, o Ewiger, spricht meine Seele« (Klgld. 3. 24.), wie bei einem Könige, heißt es hier, der mit einem großen Ge­folge die Provinzen seines Reiches be­sucht, es zu geschehen pflegt, dass von den Bewohnern die einen diese und die andern jene Persönlichkeiten aus der Umgebung des Königs zu ihren Schutz­patronen sich wählen, aber die Ver­nünftigen nur den König als solchen anerkennen; so geschah es bei der Of­fenbarung Gottes. Die Völker wählten untergeordnete Gottheiten, aber Israel Gott allein, denn es heißt: »Höre Is­rael, der Ewige unser Gott ist der Ewige der Eine.« R. Akiba, der be­rühmte Volks- und Gesetzeslehrer im ersten Jahrhundert n. antwortet dem Lehrer Ismael, dass die Partikel: eth im 1. M. 1. 1, nicht im Sinne des grie­chischen »mit«, sondern als Akkusa­tivpartikel zu betrachten sei: »Im An­fang schuf Gott den Himmel und die Erde«, gegen die Annahme: Himmel und Erde waren gleich Gott (Elohim), Götter bei der Weltschöpfung. Ebenso lautet eine andere Lehre: »Die Engel wurden nicht am ersten Tage geschaf­fen, damit man nicht sage: die Engel Michael und Gabriel standen Gott bei seinem Schöpfungswerke bei. « In Be­zug auf den Engel Metatron, der gleich dem philonischen Logos in der Mystik gelten sollte, wird ausdrücklich be­merkt, dass diese Annahme den Abfall Achers vom Judentum bewirkte. Auch die Offenbarung Gottes an Moses, lehrte R. Akiba gegen die philonische Annahme, sei durch den Logos gesche­hen. Es heißt: »Er (Gott) redete zu ihm«, d. h. zu Moses, aber nicht zu den Engeln. Dagegen wird die Lehre Ben Somas: »Die Stimme Gottes war der Engel Metatron« als irrig bezeichnet. Ein dritter Lehrer gibt die Verschul­dung des Exils für die Israeliten in der Verleugnung des Monotheismus an: »Über die Israeliten wurde nicht früher das Exil verhängt, bis sie die Einheit Gottes leugneten.. Eine andere dieser Zeit angehörende Lehre gegen den Glauben an Zwischengottheiten lau­tete: »Und der Ewige führte uns aus Ägypten, nicht durch einen Engel, nicht durch einen Seraph, auch nicht durch einen Boten, sondern er, Gott al­lein in seiner Herrlichkeit, er selbst.« Ferner: »Ich durchzog das Land Ägyp­ten«, ich, aber kein Engel; »ich schlug jeden Erstgeborenen«, ich, aber kein Seraph; »und an allen Göttern führte ich Strafgerichte aus«, ich, aber kein Bote! Ein Lehrer aus dem zweiten Jahr­hundert n., R. Elasar Hakapor, spricht dies noch deutlicher aus: »Die Gebore­nen sind zum Tod, die Toten zum Wie­deraufleben und die Wiederbelebten zum Tag des Gerichts bestimmt, damit es erkannt werde, dass Gott ist der Bildner, der Schöpfer, der Verständige, der Richter, der Zeuge usw. « Gegen die aus der philonischen Logoslehre hergeleitete Trinität lautete ihre Ver­wahrung: »Ich bin der Ewige dein Gott« — ein Mensch von Fleisch und Blut hat einen Vater, einen Bruder und einen Sohn, aber Gott hat keinen Va­ter, keinen Bruder und keinen Sohn — denn es heißt: »Und außer mir gibt es keinen Gott.« d. Erkennbarkeit und Nennbarkeit Gottes, Eigenschaften Gottes, Herr­lichkeit und Weisheit Gottes. Mit der Lehre von der Erkennbarkeit und Nennbarkeit Gottes sind die talmudi­schen Aussprüche in völliger Überein- stimmung. Gott an sich kann von den Menschen weder erkannt noch genannt werden, aber desto mehr in seinem Verhältnisse zur Welt. Ähnlich der phi­lonischen Lehre oben lehren die Volks-und Gesetzeslehrer: »Gott sprach zu Moses: >Meinen Namen willst du wis­sen? Ich werde nach meinen Werken genannt: heiße >Elohim<, wenn ich die Geschöpfe richte; >Zebaoth<, wenn ich Krieg gegen die Frevler führe, >Schad-dai<, Mächtiger, wenn ich die Strafen verhänge; >Ewiger<, wenn ich mich der Menschen erbarme, denn es heißt: >Der Ewige, der Ewige, ist barmherzig, gnä­dig usw.< Nur in Bezug auf obige Leh­ren von Gottes Eigenschaften und der in der Bibel vorkommenden Herrlich­keit und Weisheit Gottes weichen die Angaben im talmudischen Schrifttum von den philonischen Philosophenren ab, in denen wir eine Umgestaltung der letzteren und eine Gegenerklärung ge- gen dieselben erblicken. Philo spricht von den göttlichen Eigenschaften als von den von Gott getrennten, selbst­ständig wirkenden Kräften, dagegen hat der Talmud den Ausspruch: »Zu jeder Zeit, da wir zu ihm rufen (5. M. 4. 7), zu ihm (Gott) allein, aber nicht zu seinen Eigenschaften.« Die göttli­chen Eigenschaften werden als keine von Gott getrennten, selbstständig existierenden und wirkenden Wesen gedacht. Nur hypostatiert spricht man bildlich von der göttlichen Barmher­zigkeit und der göttlichen Gerechtig­keit. Auch hier sind es wieder die spä­tere Mystik und die Kabbala, welche diese göttlichen Eigenschaften als selbstständig wirkende Kräfte unter dem Namen »Sephiroth« aufstellen. In völliger Übereinstimmung mit den phi­lonischen Philosophemen sind die Leh­ren im talmudischen Schrifttum über die Anthropomorphismen und die An­thropopathismen in der Bibel. Diesel­ben erklärt Philo als eine Anbeque­mung an die Schwächen der Menschen. Die Masse derselben vermag nicht, das Göttliche in seiner Reinheit zu fassen; daher hat Gott im biblischen Schrift­tum die an sich unwahre anthropo­morphistische Form gewählt. Ebenso sprechen sich die Volks- und Gesetzes­lehrer im Talmud aus: »Die Thora (Pentateuch) redet nach der Sprache der Menschen«; »Groß ist die Kraft der Propheten, sie vergleichen den Schöpfer mit dem Geschöpfe«; »Die Schrift gebraucht diese Redeweise, um es dem menschlichen Ohre verständ­lich zu machen.« II. Welt, Weltschöpfung, Urstoff, göttliche Urkräfte, Logos, Mittelwesen. Die in der griechischen Philosophie sich geltend machende Annahme eines vorweltlichen Urstoffes bei der Welt­schöpfung, der Philo gefolgt war, und die Zeichnung Gottes als eines außer­weltlichen erhabenen geistigen Wesens, Schöpfers der Welt, stießen in seiner Darstellung der biblischen Schöpfungs­lehre auf Widerspruch. Die Weltschöp­fung durch Gott selbst, seine Berüh­rung mit der Materie, dem vorweltlichen Urstoffe, erschien ihm als mit der gött­lichen Erhabenheit unvereinbar und sie aufhebend. Philo denkt sich daher die Weltschöpfung gleich Plato als eine Weltbildung, nur mittelbar durch Gott. Mit Plato nimmt auch er an erst eine Bildung von einer intelligiblen Welt von Ideen als Ur- und Musterbilder für die Schöpfung. »Als Gott die Welt schaffen wollte«, heißt es bei ihm, »er­kannte er, dass ohne ein schönes Vor­bild ein schönes Abbild nicht werden könne, auch jedes Werk ein geistiges Urbild voraussetzt, bildete er erst die intelligible Welt der Ideen. « Mit diesem platonischen Philosophem verbindet er die stoische Lehre von den wirkenden Ursachen, die Urkräfte alles Gebildes sind, die sich des ungeordneten Stoffes bemächtigten und jedem Dinge seine Eigenschaften gaben. Diese Urkräfte, nicht bloß Urideen, bezeichnet Philo weiter als Teile der Gottheit, die eine Ausströmung von Gott an die Welt oder eine Erweiterung des göttlichen Wesens, Ausbreitung seiner Kräfte durch die Welt darstellen. Hierbei be­tont er es, dass, wenn auch die Urkräfte durch ein Ausströmen aus Gott ent­standen sind, Gott dadurch von seiner Einheit nichts verliere. Eine Schwan­kung bemerken wir in seiner Lehre von dem Wesen dieser Urkräfte, ob sie vom Gotteswesen unzertrennlich oder von ihm verschieden sind. Er spricht von einem Lichte, das von ihnen ausstrahlt und stellt Gott als das Urlicht dar. Da­gegen nennt er an mehreren Stellen diese Urkräfte Diener und Statthalter Gottes, Vollzieher seines Willens und Vermittler zwischen Gott und Welt, die Engel bei Moses und die Dämonen bei den Griechen. Die Zahl dieser Urkräfte wird verschieden angegeben. Im Allge­meinen werden sechs angenommen. Von diesen werden zwei besonders ge­nannt: die Güte und die Macht; durch erstere wurde alles erschaffen, durch letztere wird alles beherrscht. Die Güte ist die Höhere und Ursprüngliche, von der Gott vorzugsweise Theos genannt wird. Durch diese Eigenschaft ist Gott gnädig den Sündern, denen er die ret­tende Hand reicht, durch die andere herrscht er; gibt Gesetze und bestraft. In Bezug auf ihr gegensätzliches Wir­ken wird eine dritte, sie beide verbin­dende oder vermittelnde Urkraft ge­nannt; es ist der »Logos«, der beide vereinigt, so dass Gott durch ihn herr­schen und gütig sein kann. Wer dieser Logos sei? In der näheren Bezeichnung desselben greift Philo zu verschiedenen Bildern, ohne ihn jedoch klar und be­stimmt anzugeben. Man merkt das Di­lemma, in dem er sich befindet; er möchte den biblischen Monotheismus geschont wissen und doch mit der Konsequenz seiner Philosophie, die im Plantonismus und der Stoa wurzelt, nicht brechen. Der Logos, lehrt er, ist das Urbild der Welt, nach welchem sie geworden, aber zugleich die schaffende und erhaltende Urkraft; Gott schafft und erhält die Welt durch ihn, er ist sein Werkzeug. Anderwärts bezeichnet er ihn als die wirksame göttliche Ver­nunft; die Idee als Inbegriff aller ande­ren Ideen; die Kraft, die alle anderen wirkenden Kräfte in sich fasst, den Ge­samtinhalt der übersinnlichen Welt; das geistige Haus Gottes im Gegen­satze zu seinem sinnlichen Hause, der Welt; das allgemeine Sein, das allen Dingen zu Grunde liegt; das Buch Got­tes, in welchem die Wesenheiten aller Dinge verzeichnet sind; die Metropole, deren Pflanzstädte die übrigen Kräfte sind. Der Logos, lehrte er ferner, ist der Mittler zwischen Gott und der Welt, der Stellvertreter und der Gesandte Gottes, der Verkünder und Ausleger der Ratschlüsse Gottes für die Men­schen und somit der Prophet, der Erz­engel zur Vermittlung von Offenbarun­gen, der Vertreter der Welt bei Gott, der Hohepriester, der für sie betet, die Sünden der. Menschen aufhebt, sie ver­söhnt u. a. m. Ebenso wird er als Urbild des menschlichen Geistes gehalten, nach dem er geschaffen wurde, daher er auch »der Urmensch«, »himmlischer Mensch« genannt wird. Er erleuchtet die menschliche Seele und heißt des­halb die Sonne (de somn. I. 15, 19). Durch ihn hatten die Israeliten in Ägypten (2. M. 10. 23) Licht in ihren Wohnungen (das). Weiter heißt es von ihm, dass er das Band ist, das alle Teile in der Welt verknüpft und sie selbst wie ein Gewand anzieht. Mit dieser Zeichnung des Logos steht Philo nicht mehr ganz auf dem Glaubensboden des Judentums; die biblische Gottesidee des Monotheismus hat bei ihm eine Modifikation erhalten, die sie fälschte und unkenntlich machte. Auch in sei­nen anderen Angaben bemerken wir ein ähnliches Schwanken. So sagt er von dem Wesen des Logos, dass er we­der geschaffen nach Art der anderen Dinge, noch ungeschaffen gleich Gott sei. In Bezug auf das Verhältnis des Lo­gos zu den oben genannten zwei ersten Urkräften, der Güte und der Macht, lehrte er: »Der Logos steht zwischen diesen zwei Grundkräften in der Mitte, so dass er nur das gemeinsame Produkt von diesen beiden darstelle.« Abwei­chend hiervon nennt er anderwärts den Logos höher als diese zwei Kräfte. Es ist daher zweifelhaft, ob Philo den Lo­gos als die Wurzel oder das Produkt dieser zwei Urkräfte hält. Größer wird dieses Schwanken bei ihm in der ferne­ren Bestimmung, ob der Logos nur eine göttliche Eigenschaft und identisch mit der göttlichen Weisheit sei oder ein für sich bestehendes Wesen bilde. An meh­reren Stellen spricht er vom Logos als von einer göttlichen Eigenschaft und hält ihn identisch mit der göttlichen Weisheit. Doch erscheint er an anderen Stellen bei ihm als ein neben Gott exis­tierendes, selbstständiges Wesen, das er »Bild Gottes« oder »Schatten Gottes« nennt. Aber bald tritt auch hier wieder sein jüdischer Glaube zum Vorschein; er möchte den Monotheismus gern ret­ten. So bezeichnet er den Logos gleich den anderen Wesen zum Unterschiede von Gott, dem Ungewordenen, als den Gewordenen, der von den anderen We­sen das Erste und Höchste ist, und zum Unterschiede von ihnen »der erstgebo­rene Sohn Gottes« heißt. Der Logos ist der ältere, die Welt der jüngere Sohn Gottes. Wieder lässt er sich von heidni­schem Einflusse verleiten, ihm den Na­men »Gott« beizulegen und begnügt sich zur Beschwichtigung seines jüdi­schen Gewissens, dass er ihn nur »Gott«, ohne Artikel oder »zweiter Gott«, um ihn von dem wahren zu un­terscheiden, nennt. Wir wollen sehen, wie er für diese seine Lehren Begrün­dungen und Andeutungen in der Schrift aufsucht. Zuerst: a. über seine Lehren von den Ur­kräften. Die Bildung einer idealen Welt, als Vorbild der zu erschaffenden Welt und Inbegriff aller Urkräfte, findet er in 1. M. 1. 5 in dem Ausdruck: »ein Tag«, der zum Unterschiede von »ers­ter Tag« die Schöpfung der einzigarti­ gen Natur der geistigen Welt andeutet. Einen Beweis hat er dazu in 1. M. 2. 4 »ehe es auf Erden war«, was er auf eine zweifache Schöpfung bezieht, der geistigen und der wirklichen Welt. Als Symbol dieser idealen Welt gilt ihm das Stirnbild des Hohenpriesters (2. M. 28. 32.). Die Zahl dieser göttlichen Ur­kräfte, als sechs, sieht er symbolisiert in den sechs Asylstädten, die Moses in 4. M. 35. 6 für Palästina anordnete, als: 1. der göttliche Logos; 2. die schöp­ferische Kraft; 3. die königliche Kraft; 4. die gnadenvolle; 5. die gesetzge­bende; 6. die Verstandeswelt, die mit Gott, als dem Seienden, sieben sind. Neben diesen wird auch von der göttli­chen Urkraft, der Weisheit, gespro­chen, die er als das höhere Prinzip fasst, aus der der Logos hervorgeht. Es wird von derselben aufgesagt, dass sie den göttlichen Samen empfange und die Welt, den sinnlichen Sohn, gebäre. Es werden der Weisheit dieselben Ei­genschaften wie dem Logos beigelegt. Dass mit dieser Zahl die göttlichen Ur­kräfte nicht begrenzt werden, vielmehr dieselben unzählig sind, weist er auf 5. M. 10. 17 hin, wo Gott König der Göt­ter, der göttlichen Wesen, heißt. Auf die von diesen oben namhaft gemach­ten zwei göttlichen Urkräfte, die Güte und die Macht, deuten in 1. M. 3. 24 in den Cherubim vor dem Garten Eden; in 1. M. 18. 2. den beiden Gott beglei­tenden Engeln; in 2. M. 25. 18 in den Cherubin auf der Bundeslade. Auch die Rangordnung beider, wo die Urkräfte der Güte die vorzüglichste ist, leitet er von 2. M. 25. 19 ab. Das Zu­sammenwirken beider sieht er in 1. M. 3. 23. bei der Vertreibung Adams aus dem Paradiese. Die Ausstrahlung dieser Kräfte aus Gott erweist er aus Jeremia 2. 13., wo von einer Quelle des leben­digen Gottes gesprochen wird; ferner aus 1 M. 2. 7., wo von einem Hauchen Gottes die Rede ist. Dass Gott über di­ese Kräfte hinausragt und als ein Wesen für sich sei, das nicht in ihnen aufgeht, ergeben ihm die Worte 1. M. 18., wo Gott als Dritter genannt ist, und das. V. 6, wo Gott über den Cherubim wohne. Weiter ergibt ihm 1. M. 22. 3.4. »Abra­ham kam an den Ort«, dass Gott durch die Urkräfte der Welt gegenwärtig und nahe sei. Ferner erweist er ihre Wirk­samkeit bei der Schöpfung aus 1. M. 1. 26, dem Plural »Wir wollen den Men­schen machen«; ebenso aus 1. M. 3. 22., wo Gott sich an sie wendet, wenn er etwas ausführen will; Josua 2. 11: » Gott ist im Himmel oben und auf der Erde unten«, wo das Untensein Gottes auf die göttlichen Kräfte bezogen wird u. a. m. Wir sehen aus diesen Beispielen zur Genüge, wie Philo sich bemüht, seine Philosopheme von den Urkräften mit der Bibel auszugleichen oder diesel­ben in ihr nachzuweisen. In noch auffal­lenderer Weise geschieht dies b. von seiner Logoslehre. In 2. M. 33. 22. soll »die Herrlichkeit Gottes« der Strahlenglanz Gottes, der Logos, sein. Auch das in 1. M. 28. 17 und 2. M. 25. genannte »Haus Gottes« soll den Logos andeuten. Die Unnennbar­keit Gottes veranlasst ihn zur An­nahme, dass unter dem Gottesnamen Jhvh in der Bibel der Logos gemeint sei. Den Logos als Abbild Gottes und Stellvertreter Gottes findet er in 1. M. 31. 13. »Ich bin der Gott von Bethel« (Haus Gottes), d. h.: »Ich (der Logos) bin der Gott, der an der Stelle des höchsten Gottes dir erschienen war. « Die Gottähnlichkeit des Menschen, als sich auf den Logos beziehend, erweist er aus 1. M. 1. 27, weil es nicht »Bild Gottes«, sondern »nach dem Bilde Gottes« steht, was andeutet, dass der Mensch nur nach dem Abbilde Gottes, dem Logos, geschaffen wurde. Aus Spr. Sal. 8. 22 und 2. M. 20. 12 entnimmt er, dass die Weisheit die Mutter des Lo­gos sei und findet eine Hinweisung auf beide in dem Namen Bethuel (=Bathel, Tochter Gottes) und in dem Namen »Bezalel, (2. M. 31. 2) Schatten Got­tes«. Aus 1. M. 1. »Gott schafft durch das Wort« beweist er, dass der Logos das Werkzeug Gottes bei der Schöp­fung war. Mehr als dies sieht er in den Worten 5. M. 8. 3: »Denn von allem, was aus dem Munde des Ewigen kommt, lebt der Mensch«, dass der Logos gleich Gott das allgemeine Sein ist, dem die Welt unterliegt. Die Bezie­hung des »Himmels« in 1. M. 1. 1 auf den Logos bestimmt denselben als den Inbegriff der Idealwelt und 1. M. 2. 4 deutet ihm an, dass der Logos ein Buch sei, in welches sämtliche Ideen einge­graben sind. Symbolisiert findet er den Logos in seiner Wirksamkeit, die geis­tigen und sinnlichen Mächte zu verei­nigen, in dem bunten Gewande des Hohenpriesters. Unter Hinweisung auf 3. M. 21. 10 »und seine Kleider zer­reißt er nicht« lehrte er, dass der Logos die ganze Welt wie ein Gewand um hat, welches er nicht zerreißt, sondern es fest zusammenhält. Überhaupt wird der Logos in seiner zwischen Welt und Gott vermittelnden Stellung in dem Hohenpriester 3. M. 16. 17 symbolisch dargestellt gefunden und »Hoherpries­ter« genannt. Diese seine Priestertätig­keit in Bezug auf den Menschen er­kennt er in der des Priesters Melchisedek (1. M. 14. 18) verbildlicht; auch er bringt als Melchisedek, d. h. als ge­rechter König und als König von Sa­lem, d. h. als König des Friedens, der menschlichen Seele Gerechtigkeit und Frieden. Weiter deutet er 3. M. 21. 11 »zu keiner toten Person soll er (der Priester) kommen«, als auf den Logos sich beziehend, dass er in keine gestor­bene Seele ( d. h. in eine in Sünden ver­sunkene Seele) einziehe. Ferner soll 1. M. 19. 23. »Die Sonne ging auf und Lot kam nach Zoar« das Bild für die Erleuchtung der Seele durch den Logos sein; ebenso findet er in 1. M. 28. 11 »denn die Sonne war untergegangen« die Andeutung der Verdunkelung der Seele, so der Logos davon zieht. Über­haupt werden die Worte daselbst: »er traf auf einen Ort«, dass der Schau­ende auf den göttlichen Logos traf. Wie er zugleich der Verkünder und Vermittler der Ratschläge Gottes an die Menschen sei, weist er in 1. M. 22. 16, »bei mir habe ich geschworen, spricht der Ewige«, und in 5. M. 6. 13, »und in seinem Namen sollet ihr schwören« nach. Von seiner Weltlei­tung soll der Psalm 23. 1 »Der Ewige ist mein Hirt, ich habe keinen Mangel« sprechen. Der Logos leite, wie eine Herde, Erde, Wasser, Feuer und Luft nebst den Pflanzen und Tieren darin. Die Patriarchen, Moses, das Volk Israel und dessen künftige Sammlung aus dem Exil werden durch ihn geleitet. Symbolisiert findet er den so tätigen Logos in dem Felsen, aus dem Moses das Wasser in der Wüste für Israel quellen ließ; in der Feuersäule auf dem Zuge der Israeliten, in dem Obersten der drei Männer, die Abraham besuch­ten, u. a.m. Den Logos sieht er ferner in dem Geist, der bei der Schöpfung 1. M. 1. 2. über dem Wasser schwebte; auch in der Taube, die bei Noach die göttliche Gnade vermittelte. Wie diese und ähnliche Nachweise durch die Bi­bel von den streng gläubigen Juden in Palästina, nachdem dieselben bei ihnen bekannt geworden, aufgenommen wurden, darüber gibt uns das talmudi­sche Schrifttum Auskunft. Aber wir bemerken schon jetzt, dass im Chris­tentum die Kirchenväter sich fast all dieser biblischen Nachweise bemäch­tigt hatten, um das Dogma der Trinität u. a.m. zu rechtfertigen. Später hat es auch die spekulative Mystik (s. Mystik und Kabbala) nicht gescheut, fast sämtliche eben zitierten Bibelstellen auch für ihre Lehren in Anspruch zu neh­men. Wir finden fast sämtliche hier zi­tierten Nachweisungen im Sohar wie­der. Doch wollen wir sehen, was die Volks- und Gesetzeslehrer im Talmud von denselben verworfen oder aufge­nommen und umgebildet haben. Gegen das Jahr 63 v., zur Zeit, als sich unter den Juden Alexandriens durch die Sep­tuaginta und die Schriften Aristobuls u. a. m. eine griechisch jüdische literari­sche Tätigkeit schon ziemlich entwickelt hatte, aus der später die philonische Pi­losophie (s. Religionsphilosophie) her­vorgegangen ist, lebte in Palästina der Volks- und Gesetzeslehrer Abtaljion, der gegen diese jüdisch-hellenistischen Philosopheme zu mahnen schien, wenn er lehrte: »Ihr Weisen, seid vorsichtig mit euren Worten (Lehren), vielleicht verschuldet ihr das Exil und werdet nach einem Ort böser Wasser (Irrleh­ren) verwiesen; es trinken davon die Jünger nach euch und sie sterben (den geistigen Tod), d. h. sie fallen von ih­rem Glauben ab, so dass der Name Gottes entweiht wird! « Eine ähnliche Mahnung gegen den Hellenismus hat das äthiopische Henochbuch 94. 5; 98. 15; 99. 2; 99. 14; 104. 10: »Wehe euch, die ihr Lügen redet und Frevelworte niederschreibt, denn sie schreiben ihre Lügen auf, damit man sie höre und nicht vergesse. — Wehe euch, die ihr die Worte der Rechtgläubigkeit fälschet und von dem ewigen Gesetze abfallet.« Ferner: »Sie ändern die Worte der Wahrheit, führen schlechte Reden und schreiben Lügenbücher über ihre Re­den.« In Kap. 98. 15 wird in bitterer Auslassung nachdrücklich über das griechische Gift geklagt, das in die Schriften gedrungen. Solche Warnun­gen waren nicht vergeblich, sie fanden in Palästina ihre volle Beachtung. Die talmudischen Berichte über die folgen­den Zeiten bis zum 3. Jahrhundert n. erzählen uns, wie man mit der Auf­nahme von hellenistischen oder ale­xandrinischen Philosophemen über Gott, Welt, Schöpfung u. a. m. vorsich­tig war und gar oft sie bekämpfte und völlig verwarf. Man machte sich an die Feststellung des biblischen Kanons, re­vidierte sorgfältig den Inhalt dessen einzelner Schriften und manches Buch, das in seinen Lehren Anklänge an seine unbiblisch gehaltenen alexandrinischen Philosopheme enthielt, wurde aus dem Kanon gewiesen oder wenigstens als mit der reinen Lehre des Judentums unvereinbar bezeichnet. R. Jochanan ben Sakai, das Synhedrialoberhaupt von Jabne, geht darin noch weiter; ihm erscheint jede Forschung über den Grund der Gesetze als sektierisch, er dringt auf die Vollziehung derselben aus dem einzigen Grunde, weil sie Got­tes Befehle sind, über deren Ursache man weiter nicht zu fragen habe. Eine ebenfalls sehr alte Lehre, die in der Mischna ihre Aufnahme gefunden, lau­tete: »Wer über die vier Gegenstände nachforscht, sollte nicht in der Welt sein: über das, was über dem Himmel, was unterhalb der Erde sei, was früher (vor der Weltschöpfung) und was spä­ter (nach dem Weltuntergange) sein werde.. »Wer nicht der Ehre seines Schöpfers bedacht ist, besser, er wäre nicht da gewesen!. Man beschränkte die Forschung überhaupt auf den Jün­gerkreis von Eingeweihten und hielt deren Resultate geheim, als nicht die Sache jedes Mannes. Die Bestimmung darüber war: »Man forsche nicht in der Schöpfungsgeschichte vor Zweien und in der Merkaba (s. Geheimlehre) vor einem, wenn dieselben nicht weise sind und selbst verstehen.. Gegen die Annahme Philos von Mittelwesen bei der Weltschöpfung, den Urkräften oder Urideen, wird hier an der Bibellehre von der unmittelbaren Schöpfung durch Gott festgehalten und die Lehre von einem vorweltlichen Urstoff (Ur­materie) in Abrede gestellt. Von diesen Materien bringen wir erst: a. die von der Annahme eines Ur­stoffes. Die Annahme eines Urstoffes drang aus der griechischen Philosophie ins Judentum ein. Die alexandrinischen Juden bemühten sich noch, dieselbe in der Schöpfungsgeschichte des 1. B. Moses nachzuweisen. Mit demselben Nachdruck, wie Philo oben die griechi­sche Annahme von den Urstoffen zur seinigen macht, tut es auch das Buch der Weisheit. Dagegen betrachteten sie die palästinischen Volks- und Gesetzes­lehrer als mit der biblischen Schöp­fungslehre unvereinbar und unjüdisch. Das zweite Makkabäerbuch betont da­ her entschieden die Schöpfung aus nichts. Im I. Jahrhundert n. ist es der Volks- und Gesetzeslehrer R. Akiba, der seinen Zeitgenossen Ben Asai, Ben Soma und Elisa ben Abuja, als sie ge­meinschaftliche theosophische Betrach­tungen anstellten, wörtlich in den Par-des (Paradies) eingingen, warnend zurief: »So ihr zu dem reinen Marmor­stein gelangt (eine bildliche Bezeichnug des Wassers als des Urstoffes), sagt nicht: Wasser, Wasser!», d. h. »hütet euch vor der Annahme des Wassers als Urmaterie! « Das Wasser als Urmaterie wurde bekanntlich von dem jonischen Philosophen Thales aufgestellt, kommt als solches in mehreren Stellen bei Homer vor und war bei den Gnosti­kern weit verbreitet. Auch in den Schriften des Evangel. 2. Petri 3. 5. kommt vor: »Die Erde entstand durch Wasser und mit Wasser.. Von den ge­nannten Lehrern wurde Ben Soma aus­drücklich von dem Lehrer R. Josua ben Chananja in Folge der Annahme des Wassers als des Urstoffes bei der Welt­schöpfung als außerhalb des Juden­tums stehend bezeichnet. Ersterer teilte diesem mit: »Ich schaute zwischen dem oberen und dem unteren Wasser (dem schaffenden göttlichen Prinzip und dem Urstoffe) und sah, wie zwischen beiden kaum eine Handbreit oder drei Fingerbreit war«, denn es heißt: »Und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser.. Nächst R. Akiba war es R. Gamliel II., der sich entschieden gegen die Annahme von Urstoffen aussprach. Ein Philosoph, wird erzählt, redete R. Gamliel II. an: »Euer Gott war ein gro­ßer Bildner, aber er fand hierzu die Ur­stoffe vor: das Tohu und Bohu, die Finsternis, den Wind (die Luft), das Wasser und die Abgründe, sämtliche existierten nach der Bibel schon vor der Schöpfung.« Dieser entgegnete: »Wohl kommen dieselben in der Bibel als solche vor, aber mit der sie näher bestimmenden Angabe: bara, er (Gott), schuf sie; auch sie wurden von Gott ge­schaffen:« Es kommen in diesem Sinne vor: Tohu und Bohu in 1. M. 1. 1; von Licht und Finsternis in Jesaja 45. 7; Wasser in Ps. 48. 21; Wind in Amos 4. 13; Abgründe in Spr. Sal. 8. 2.4. 7. Von den Gesetzeslehrern des z. Jahrhun­derts n. nennen wir R. Juda, und R. Elasar. Letzterer tut den Ausspruch: »Wer da annimmt, erst sei die Welt Wasser in Wasser gewesen, begeht eine Schmähung gegen Gott. Gott braucht nur zu blicken, aber nicht sich zu be­mühen.« Denselben Ausspruch wieder­holt im 3. Jahrhundert n. R. Samuel ben Nachmani vor dem Patriarchen R. Juda II.. Sein Zeitgenosse R. Abbahu erklärt gegen die Annahme von Urstof­fen die Ausdrücke »Tohu und Bohu« in 1. M. 1. 2. im Sinne von staunen und sich wundern. Dieselbe Deutung wiederholen die Lehrer des 4. Jahrhun­derts n., R. Tanchum und R. Berechja. Wenn dennoch die Volkslehrer in der talmudischen Zeit von Urstoffen spre­chen, so bemerken sie ausdrücklich, dass dieselben geschaffen wurden, aber nicht uranfänglich und unerschaffen existiert hatten. So lehrte Rabh im 3. Jahrhundert n. und Rab Juda im 4. Jahrhundert n.: »Zehn Gegenstände wurden am ersten Tage geschaffen: der Himmel, die Erde, das Tohu und Bohu, das Licht, die Finsternis, der Wind (die Luft), das Wasser, die Tages- und Nachtzeit.. Ein anderer spricht von drei erschaffenen Urelementen: dem Wasser, dem Geist oder Wind (Luft) und dem Feuer, aus denen drei andere hervorgingen: aus dem Wasser die ne­belige Finsternis, aus dem Feuer das Licht und aus dem Geist die Weisheit. b. Die Urkräfte und der Logos. Die Annahme von Urkräften im Sinne Phi­los, nicht bloß als Urideen, sondern auch als selbstständig wirkende, aus Gott ausgeströmte Urwesen, gleichsam Mittelgottheiten zwischen der Welt und Gott, welche die Welt geschaffen und sie leiten, stieß ebenfalls bei den Volks- und Gesetzeslehrern auf ent­schiedenen Widerspruch. Die Bibel­lehre von der Gotteseinheit war da­durch, wie wir schon oben bemerkt haben, untergraben, was einer Vernich­tung derselben gleichkam. Die philoni­sche Annahme von Urkräften erhielt daher eine Modifikation, so dass sie mit der Lehre von der Gotteseinheit der Bibel nicht in Widerspruch stand. Aus den Urkräften wurden Urideen, die durch Gott in Bezug auf die Welt­schöpfung erst geschaffenen Urbilder, Prototypen, Vorzeichnungen, Gesetze und Bedingungen, nach denen die Welten und Wesen geschaffen wurden. Eine alte Boraitha hat darüber: »Sieben Gegenstände wurden vor der Schöp­fung der Welt geschaffen: die Thora (das Gesetz), die Buße, das Paradies, die Hölle (beide als Ausdrücke der Ver­geltung), der Gottesthron (Bezeichnung der Weltregierung Gottes), der Tempel (d. h. die Gottesverehrung) und der Name des Messias (Messiasidee).« Deutlicher wird diese Lehre im 2. Jahr­hundert n. von dem Lehrer R. Levi vorgetragen: »Ein Baumeister bedarf zur Ausführung eines Baues sechs Ge­genstände: Wasser, Lehm, Holz, Steine, Rohr und Eisen, so wurde die Thora sechsmal als vor und zur Schöpfung geschaffen, erwähnt.« Noch im 3. Jahrhundert n. wird diese Lehre von dem berühmten Agadisten R. Josua ben Levi wiederholt, ein Beweis deren Wichtigkeit. Eine völlige Umarbeitung erhielt dieselbe im 4. Jahrhundert n. von dem Volkslehrer R. Hosea I. Er lehrte: »Die Thora spricht: Ich war das Werkzeug Gottes bei der Weltschöp­fung. Wie der Baumeister einen Palast nur nach einem entworfenen Plane baut, so schaute Gott in die Thora und schuf die Welt.« Deutlicher als hier ist diese Umwandlung der Lehre von den Urkräften in die von den Urideen in obigem Sinne in einem Ausspruche von dem Lehrer Rabh im 3. Jahrhundert n. Derselbe lautet: »Durch zehn Worte, Logoi, wurde die Welt geschaffen: durch Weisheit, Einsicht und Erkennt­nis, Macht, Strenge, Gerechtigkeit und Recht, Liebe und Erbarmen.« Erst in der Kabbala finden wir die philoni­schen Urkräfte, als aus Gott emanierte selbstständig wirkende Gottwesen, un­ter dem Namen »Sephiroth« wieder. Die Aufgabe, die sich die Volks- und Gesetzeslehrer in dieser umgestalteten Wiedergabe der philonischen oder ale­xandrinischen Philosopheme gestellt hatten, war die Ausscheidung alles Heidnischen aus denselben, sie nur so­weit zuzulassen, soweit sie nicht mit den Lehren der Bibel in Widerspruch stehen. Doch lässt es sich nicht in Ab­rede stellen, dass dennoch viele Aus­sprüche im Schrifttum des Talmud und Midrasch nebenher laufen, die von die­sem Gesetze abweichen und die ale­xandrinischen Philosopheme von den Logoi oder den Urkräften unverändert wiedergeben. Wir haben in dem Arti­kel »Geheimlehre« nachgewiesen, dass derartige Lehren zu der nicht revidier­ten Geheimlehre gehörten, die zwar ausgeschieden wurden, aber sich den­noch unter den Juden in Palästina und Babylonien erhalten hatten. Wir nen­nen z. B. die von der Emanation der Urkräfte aus Gott oder die von den Ausstrahlungen derselben als Licht­strahlen aus ihm. In einer Unterredung, erzählt eine Midraschstelle, war R. Mair mit einem Min (Sektierer). Dieser fragte: »Es heißt Ps. 65. 10: der Gotte­squell ist voll Wasser, sollte er seit dem Tage der Schöpfung nicht abgenom­men haben?« Jener antwortete: »Wenn du dich (in den heißen Wassern Tiberias) badest, verlierst du an Gewicht in Folge des von dir ausgeströmten Schweißes? Gewiss nicht! So ist es mit dem Quell Gottes, der immer voll bleibt.« Hier wird die Lehre von der Emanation von einem Gesetzeslehrer verteidigt. Auch die Annahme einer Emanation als einer Lichtausstrahlung aus Gott hatte ihre Anhänger und Ver­breiter noch im vierten Jahrhundert n., wurde jedoch wenig verstanden und beherzigt. Eine Midraschstelle berich­tet: »R. Simon Sohn Jehozadok fragte den R. Simon Sohn Nachman, woher wurde das Licht geschaffen?. Dieser antwortete: »Gott hüllte sich in das Licht, wie in ein Gewand, dessen Strah­len die Welt erleuchteten oder wörtlich: und es strahlte sein Glanz von einem Ende der Welt zum anderen.« Dieses, heißt es darauf, teilte er ihm geheim mit. Ersterer verstand diese Mitteilung nicht, es war die von den Gesetzeslehrern als ketzerisch bezeichnete Lehre von der Emanation, und rief ihm er­staunt zu: Das sagt ja der Psalmvers 104. 2.: »Er hüllte sich in das Licht wie in ein Gewand ein«, warum so geheim­nisvoll? Er erwiderte: »Ich habe diese Lehre als Geheimnis gehört, so verkün­dete ich sie geheim.« Weiter werden auch obige biblischen Begründungen Philos von seiner Logoslehre entschie­den zurückgewiesen. So wird im ersten Worte des Schöpfungsberichtes 1. M. 1.: »Bereschith«, »im Anfange«, die erste Silbe »be«, die in der Bedeutung von »Thora« , »Lehre«, »Weisheit« verbunden erachtet und dahin erklärt, dass dieses »be« (mit oder nach) sich nicht auf eine zweite Gottheit, sondern auf die Thora, die Weisheit beziehe, bezeichnet nämlich, dass Gott mit der Thora, d. h. nach der Thora, die Welt erschaffen habe. Auch in Bezug auf die Aufeinanderfolge der Wortstellung des ersten Verses: »Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde«, was der Annahme von Schöpfershelfern vorge­beugt hätte, lehrt der Gesetzeslehrer »Ben Asai« (im zweiten Jahrhundert n.), dass die Schrift, ehe sie den Schöp­fer nennt, erst sein Werk bekannt macht im Gegensatze zur Sitte des Menschen, der seinen Namen vor sei­nen Taten angibt. Andere Hauptbe­weise in der Bibel, in denen Philo und die späteren Anhänger seiner Lehren den Logos vorfinden, sind, wie wir die­selben oben zitiert haben, 1. M. 19: »Der Ewige ließ von dem Ewigen über Sodom und Gomora Schwefel und Feuer regnen«; Ps. 50. 1. »Gott (Elo-him), der Ewige spricht«; 5. M. 4. »Welchem Elohim sich nahen«; 1. M. 1. 26. »Wir wollen einen Menschen machen nach unserem Ebenbilde. Auch diese werden von den Lehrern der ersten drei Jahrhunderte widerlegt. So weist R. Gamliel II. (im 1. Jahrhun­dert n.) in Bezug auf erste Stelle auf I. M. 4. 22. hin, wo ebenfalls Wiederho­lungen vorkommen, ohne dass man an zwei Personen zu denken braucht. In Betreff der zweiten und dritten Bibel­stelle, wo für »Gott« die Pluralbenennung »Elohim« vorkommt, als wenn noch eine Gottheit (der Logos) mitbe­griffen wäre, lehrte R Simlai (im drit­ten Jahrhundert n.), dass man auf das mit »Elohim« in Verbindung stehende Verbum zu achten habe, das in allen diesen und ähnlichen Bibelstellen im Singular steht, also nur von einem Gott spricht. So z. B. Josua 22. 22: »Gott (Elohim) der Ewige weiß es«; Ps. 50. 1 »Elohim, der Ewige spricht«; 1. M. 1. I. »Im Anfange schuf Elohim.« Auf gleiche Weise wird wegen der obigen dritten Bibelstelle 1. M. 1. 26 die Sin­gularform der Aussage »Er schuf den Menschen« als Gegenbeweis hervorge­hoben, also nur ein Gott schuf den Menschen. Mit vielem Nachdruck wird die Stelle 5 . M. 4. 33: »Frage die Vor­zeit, den Tag, wo Gott den Menschen auf der Erde schuf« hier zitiert, wo es heißt »Gott schuf«, aber nicht »Götter schufen«. Auch gegen die vermeinten biblischen Beweise für die Annahme eines Urstoffes in 1. M. 1. 2. »Öde, Vermischtes und Finsternis« (tohu, bohu, choschech) versteht der Patri­arch R. Gamliel II. eine Gegenstelle aus Jesaja 45. 8 anzugeben. »Er schuf das Licht und die Finsternis«, wo aus­drücklich der Urstoff, »die Finsternis«, als durch Gott geschaffen verkündet wird. Wir ersehen daraus, dass die phi­lonischen Philosopheme im talmudi­schen Schrifttum ihre Umbildung und Rektifizierung, d. h. ihren Ausgleich mit den biblischen Lehren und An­schauungen, erhielten und in dieser Gestalt weiter gelehrt und verbreitet wurden. Wir wollen sehen, ob dasselbe auch in dem nun folgenden dritten Teile, der von der Welt, dem Menschen, den Engeln und den Geistern, der Welt­erhaltung und Weltregierung handelt, der Fall ist. III. Die Welt, der Mensch, die Engel und Geister, die Welterhaltung und Weltregierung. a. Die Welt und der Mensch. Die sinnliche Welt hält Philo als einen Ab­druck der geistigen, die eine vorbildliche jener ist. Daher gilt ihm diese nur gewis­sermaßen als »Wohnung Gottes«, wäh­rend dieser Name in wahrem Sinne nur der geistigen Welt zukommt. Doch wird auch unsere sinnliche Welt höchst voll­kommen und unvergänglich gehalten. Von diesen Ideen ist Letzte, die bei den Volks- und Gesetzeslehrern in Palästina auf Widerspruch stieß und eine Gegen­äußerung veranlasste. Die Schöpfung ist keine aus einem Urstoffe hervorgegan­gene Weltbildung, nicht in ihrem Ur­stoffe uranfänglich, sondern durch Gott aus nichts hervorgebracht, sie kann daher durch Gott wieder zerstört und aufgelöst werden. Eine zweite Fol­gerung Philos, gegen welche die Volks-und Gesetzeslehrer in Palästina auftra­ten, war, die sinnliche Welt als Stätte des Bösen und der Sünde zu betrach­ten, die nicht durch Gott, sondern durch die göttlichen Kräfte, Potenzen (den Logos), gebildet sein soll. »Nicht in der Welt, sondern im Menschen, in dessen freien Tätigkeit, ist die Stätte des Guten oder des Bösen, der Tugend oder der Sünde, je nachdem er dieselbe sich selbst vermöge seiner Willensfrei­heit bestimmt hat«, lautete ihre Gegen­erklärung. Von der Zeit, lehren sie, da die Worte gesprochen wurden: »Siehe, ich lege dir heute vor das Leben und das Gute, den Tod und das Böse«, kommt aus dem Munde des Höchsten weder das Gute, noch das Böse. »Das Böse erfolgt von denen, welche das Böse tun und das Gute durch die, wel­che Gutes vollziehen.« Eine dritte Lehre Philos, die ebenfalls im Talmud bekämpft wird, ist die von der mensch­lichen Seele, sie als Teil des Gotteswe­sens selbst zu erklären. Es sagt: »Die Schriftworte: rund er blies in seine Nase einen Lebensoden< sind so zu verste­hen, ein Teil jener seligen himmlischen Natur habe sich nach unten gewandt.« Auf einer anderen Stelle spricht er es noch deutlicher aus: »Der Geist des Menschen ist ein Teil Gottes.« »Wie sollte es möglich sein«, lautet seine weitere Angabe darüber, »dass der Geist, ein kleines Ding, abgeschlossen im Herzen oder im Gehirn, die Größe der Welt fassen könnte, wäre er nicht ein Bruchstück jener Gottesseele, ein Bruchstück, das vom Ganzen nicht ge­trennt ist. Denn nichts wird von dem Göttlichen durch Abtrennung geschie­den, sondern nur durch Ausdehnung.« Philo spricht hier die Immanenz Gottes in der Welt und im Menschen aus und hat sich dadurch dem heidnischen Pan­theismus genähert. Gegen solche Verirrung verwahren sich die talmudischen Gesetzeslehrer, wenn sie die menschli­che Seele mit Nachdruck als durch Gott geschaffen erklären. Bekannt ist das synagogale Gebet: »Gott, die Seele, die du mir gegeben, ist rein, du hast sie geschaffen, gebildet und mir einge­haucht! « Doch scheint Philo es ge­merkt zu haben, wie weit er sich durch dieses Philosophem vom Judentum entfernt habe, denn er sucht auf einer anderen Stelle wieder einzulenken, um auch seinem jüdischen Glauben gerecht zu werden. Neben der obigen Angabe über den Ursprung der Seele spricht er auch von der biblischen und fragt, ob sie den Körper überlebe. Nichtsdesto­weniger scheut sich die Kabbala, die philonische Bezeichnung der Seele als »Teil Gottes« aufzunehmen. Ebenso ist Philos Lehre von der menschlichen Leiblichkeit mehr heidnisch als jüdisch. Der menschliche Leib, lehrte er, ist die Stätte des Bösen und der Sünde, die Fessel der Seele, ein Übel für sie, ein Kerker, aus dem sie sich hinaussehnt, so keine Gemeinschaft mit Gott mög­lich sei, so dass die Seele erst nach dem Tode des Leibes zum neuen Leben er­wache. Wir haben hier ganz die Lehre des Buddhismus und des Parsismus, die sich als eine notwendige Folge der Annahme eines vorweltlichen Urstoffes ergeben musste. Dass die Bibel den menschlichen Leib nicht als Stätte des Bösen und der Sünde betrachtet, geht schon aus ihren Angaben hervor in 1. M. 2. 7, wo die Bildung des Menschen Gott zugeschrieben wird; ferner aus den Büchern Hiob und der Psalmen, wo die im menschlichen Leibe sich ab­spiegelnde Gottesweisheit zur Bewun­derung ruft mit dem Schlusse: »Von meinem Fleische schaue ich Gott!« Es dürfte nicht ohne Interesse erscheinen, auch die Lehren im Talmud gegen diese philonische Auffassung kennen zu ler­nen. Der Lehrer Hillel I. (100 v.) er­klärt seinen Jüngern die Reinigung des menschlichen Leibes durch Waschen und Baden als die Erfüllung eines Got­tesgebotes, wobei er auf die Bildnisse der Könige, die Statuen in den Thea­tern, Zirkussen und auf freien Plätzen hinweist, wie man für deren Reinigung sorgt: »Sollte ich dasselbe an mir nicht tun, da ich im Ebenbilde Gottes ge­schaffen bin.« Ein Lehrer des dritten Jahrhunderts, R. Jochanan, erkennt in der Verbindung der Seele mit dem Leib das Bild der Verbindung Gottes mit der Welt. »Wie die Seele den Körper er­füllt, so Gott die Welt; wie die Seele den Körper überdauert, so Gott die Welt; wie die Seele im Körper einzig ist, so Gott in der Welt; wie die Seele im Körper sieht, aber nicht gesehen wird, so sieht Gott in der Welt ohne selbst gesehen zu werden.« Am deut­lichsten spricht sich darüber der Syn­hedrialpräsident R. Jochanan b. S. aus; er sagt über das Gesetz von der Verun­reinigung durch Leichen: »Wisset, nicht der Tote verunreinigt, nicht das Sprengwasser reinigt, aber eine Anord­nung Gottes ist es, nach deren Grund wir nicht fragen sollen.« In einem Dis­put mit einem Sadducäer lässt er den Grund dafür gelten: »Der Leichnam des Menschen verunreinigt, damit man nicht die Gebeine desselben zu profa­nen Zwecken verwende, nicht aus ih­nen Löffel u. a. m. anfertige.« Wieder sind es die Mystik und nach ihr die Kabbala, welche diese philonische Lehre unverändert aufgenommen ha­ben. Der menschliche Leib wird hier als Sitz der Sünde, die Stätte des Bösen gehalten, aus dem die Seele, wie aus ei­nem Gefängnisse zu entkommen sich sehnt. Die Stellen im Soharbuch darü­ber lauten: »Oben am Lebensbaume (im Reiche des Geistes) gibt es keine Schalen, Böses (Klippoth), aber am Baume unten (im Leiblichen) gibt es Schalen«; »Da ist die böse Magd, die Zerstörerin der Welt, die Gottesrute zur Bestrafung der Welt.« »Zur Zeit, da die Seele in den menschlichen Kör­per einziehen soll«, ruft Gott ihr zu: »Gehe, tritt ein in den Körper!« Aber die Seele jammert: »Herr der Welt! Mir genügt die Welt, in welcher ich bin, ich verlange nach keiner anderen, wo Skla­verei meiner harret und ich eine Besu­delte werde.« Minder abweichend sind bei Philo die Stellen über die Verbin­dung des Geistes mit dem Leibe und den Zweck derselben. Wir bringen da­rüber: »Die Verheißung, die Gott (1. M. 18. 15) Jakob im Traume werden ließ, habe man von der Seele zu verste­hen, denn sie hat den himmlischen Raum verlassen und ist, wie in ein fremdes Land, in den Leib eingewan­dert. Aus diesem führt Gott diejenigen Seelen wieder zurück, die ihm wohl ge­fallen.. Eine andere Stelle bei ihm be­zieht sich auf 1. M. 47. 4: »Fragt euch ein Tadelsüchtiger, warum seid ihr, die ihr doch von Geburt als Hirtenleute mit der Sorge für eure Seelenherde be­schäftigt wart, nach Ägypten, d. h. in den Leib, in das Reich der Leidenschaft eingezogen«, so antwortet: »Nicht um darin zu wohnen, sondern um Beisaße zu sein (vorübergehend sich da aufzu­halten). Denn in Wahrheit hält jeder Weise den Himmel für sein Vaterland und die Erde als die Fremde.« b. Die Engel und die Geister. Die Engel- und Geisterlehre Philos ist wie­der stark antibiblisch; sie ist mit heid­nischen Anschauungen, platonischen Philosophemen, verwachsen, von de­nen er sich nicht zu trennen vermochte. In der Bibel und im Talmud sind Geis­ter und Engel geistige, von Gott ge­schaffene und von ihm abhängige, ihm dienstbare Wesen, die Gottes Befehle vollziehen. Nicht in dieser Zeichnung spricht Philo von ihnen. Die Dämonen der griechischen Philosophen und die heidnischen Götter und Geister sind seine Engel und Geister. Sie sind göttli­che, in der Welt wirkende, aus Gott hervorgegangene Potenzen, Teile des Gotteswesens selbst, die ohne An­nahme einer leiblichen Hülle »Geister« und in derselben »Engel« sind, Mittler zwischen Gott und der Welt, die Schöp­fer, Erhalter und Regierer der Welt. Noch das Buch Sirach hatte teilweise die biblische Engellehre; es spricht von Geistern, aber mit der ausdrücklichen Bezeichnung, die geschaffen sind. Aber Philo hält die von ihm oft genannten »Logoi«, die göttlichen Potenzen als die in der Bibel genannten Engel. In der Schrift de migratione sagt er: »Nie­mand könne sich zur Erkenntnis erhe­ben, als der, den Gott selbst führe; wer aber der Gottheit einmal folge, der habe die göttlichen >Logoi< zu Beglei­tern, welche die Schrift >Engel< nennt.« Auf einer anderen Stelle sagt er: »So lange der Geist nicht vollendet ist, muss der göttliche Logos sein Wegweiser sein.« Denn es heißt in der Schrift: Siehe, ich sende meinen Engel vor dir her, damit er dich bewahre auf deinem Wege (2. M. 13. 20). Gegen solche An­nahmen erklären die Volkslehrer des zweiten und dritten Jahrhunderts n.: »Die Engel gehören zu den Werken der sechstägigen Schöpfung«, »Gott er­schaffe täglich diensttuende Engel (Me­tatron) « u. a. m. Freilich ist es auch hier die Mystik, die den Engel »Metatron« zu einem zweiten Gott macht und ihn den Gottesnamen Jhvh führen lässt u. a. m., also ganz die philonische, von den Gesetzeslehrern bekämpfte Engellehre. c. Die Welterhaltung und Weltre­gierung. Eine weitere von der Lehre des Judentums, der Bibel und des Tal­mud, abweichende Konsequenz der Annahme eines vorweltlichen Urstoffes und der Darstellung der Materie als Stätte des Bösen und der Sünde — war das Philosophem Philos von der Welt­erhaltung und Weltregierung Gottes. Wie Philo die Schöpfung und die Bil­dung der Welt aus der Urmaterie nicht durch Gott, das absolute Sein, sondern durch die göttlich wirkenden Urkräfte geschehen lässt, so hält er die Erhal­tung und Regierung der Welt ebenfalls nur als Werk der letzteren. Die Stelle darüber lautet: »Das All wird durch unsichtbare Kräfte zusammengehalten, die der Weltbildner von dem äußersten Ende der Erde bis zu den Grenzen des Himmels ausdehnte, dafür sorgend, dass das in schöner Weise Verbundene sich nicht auflöse. Denn diese Kräfte sind die unzertrennlichen Bande des Alls.« Diese die Welt erfüllenden göttli­chen Urkräfte sind es, wie Gott überall gegenwärtig ist und überall als der tä­tige und schaffende Geist erscheint. Hiermit lehrt Philo wieder die Imma­nenz Gottes und bringt ungescheut den Patheismus des Heidentums ins Judentum. Auch an anderen Stellen spricht er von Gott: »Er erfüllt und umfasst die ganze Welt«, »Gott und das All sind eins.« Es sind Lehren, die sich nicht mit denen von der Außenwelt­lichkeit und Unmittelbarkeit Gottes in der Bibel vereinigen lassen. Dagegen haben seine anderen Lehren über die­ses Thema, wenn sie nicht mit dem eben Zitierten in Verbindung gebracht werden, weniger Widersprechendes. Wir meinen, wenn er die schöpferische und erhaltende Gotteskraft unter dem Bilde einer Quelle (nach Jeremia 2. 13) darstellt, Gott den einzigen Bürger der Welt, aber alle anderen Wesen nur An­wohner (Einsaßen) derselben nennt, und ihn als die einzige Ursache aller Dinge hält. Treffend ist sein Bild vom »Wagenlenker« oder »Steuermann« für Gott als »Welterhalter« und »Welt­regierer« im Folgenden: Denn »er« (Moses) kennt ein höheres Wesen, das wie ein Wagenlenker oder ein Steuer­mann das Ganze regiert. Er führt das Steuer des großen Weltschiffes, auf dem sich alles befindet; lenkt den geflü­gelten Wagen des Himmels mit freier selbstständiger Macht. IV. Offenbarung, Prophetie, Pro­pheten, Gesetz. a. Die Offenbarung. Die Offenba­rung allgemein sowie speziell die in der Schrift geschilderte Gottesoffenbarung auf Sinai kann entweder rationell als Bild und Symbol oder mystisch und gläubig, d. h. in wörtlichem Sinne auf­gefasst und erklärt werden. Philo schwankt zwischen beiden, er greift bald zur ersten, bald zur zweiten Er­klärungsweise. Auf einer Stelle hält er die Stimme Gottes auf Sinai als einen symbolischen Ausdruck dafür, dass Gott zu Menschen durch Werke spricht, die gesehen werden können. »Wenn wir«, sagt er anderwärts, »in der Schrift lesen, dass Gott mit den Menschen gesprochen, so darf man keineswegs glauben, dass eine sinnliche Stimme in der Luft erschollen sei, son­dern die menschliche Seele ist vom reinsten Lichte erleuchtet worden.« Unter dieser einzigen Form kann das göttliche Wort an den Menschen gelan­gen. Als das Gesetz auf dem Berg Sinai bekannt gemacht wurde, wird nicht gesagt, dass die Stimme gehört worden sei, sondern wie der Text sich aus­drückt, wurde sie vom ganzen versam­melten Volke gesehen: »Ihr habt gese­hen, dass ich vom Himmel mit euch geredet.« Gegenüber dieser rationalis­tischen Auffassung steht seine mysti­sche und gläubige oder die wörtliche Darstellung der biblischen Gottes- und Gesetzesoffenbarung auf Sinai. Mög­lich, dass ihn mehrere Bibelstellen, die gegen obige Deutung sprechen, zur Abweichung von derselben bewogen haben. Wir nennen z. B.: »Den Laut (Kol) der Worte hörtet ihr, aber kein Bild saht ihr, als nur den Laut«; ferner: »Vom Himmel hat er dich hören lassen seine Stimme und auf der Erde hat er dich sehen lassen sein großes Feuer, und seine Worte hast du gehört mitten aus dem Feuer«; ferner: »Gezeigt hat uns der Ewige seine Herrlichkeit und gehört haben wir seine Stimme aus dem Feuer«; ferner: »Wo ist irgend ein Sterblicher, der gehört hätte die Stimme des lebendigen Gottes redend mitten aus dem Feuer, so wie wir und wäre le­ben geblieben.« So bekennt er sich zu der Möglichkeit, das der Mensch Got­tes Substanz in einer unmittelbaren Manifestation erfasse, anstatt dass er durch die Anschauung der Werke des­selben zu ihm hinaufsteige und fasst den biblischen Bericht von der Gottes-und Gesetzesoffenbarung auf Sinai wörtlich. So sagt er, dass die Posaune, die damals erdröhnte, von einem Ende der Welt zum anderen gehört worden war, damit auch die Abwesenden, näm­lich die übrigen Nationen der Erde, darauf aufmerksam werden. Ähnlich heißt es auch im Talmud, dass Gott mit der Gesetzesoffenbarung an alle ande­ren Völker zur Annahme sich gewen­det, aber kein Volk erklärte sich für den Empfang derselben als Israel. Nicht uninteressant dürfte noch eine andere Stelle in Philo sein, wo er auch diese mystische Auffassung gewissermaßen verstandesgemäß darzustellen sucht. Wir bringen davon: »Gab also Gott eine Stimme von sich? Fern von uns sei dieser Wahn, denn nicht bedarf Gott, wie ein Mensch, des Mundes, der Zunge, der Schlagadern, vielmehr scheint der Herr damals ein wunder­würdiges Werk getan zu haben, indem er gebot, dass ein unsichtbarer Schall sich in der Luft bildete, lieblicher tö­nend als alle irdische Melodien, nicht unbeseelt, aber auch nicht einem Ge­schöpfe gleich, der nicht wie wir aus Leib und Seele zusammengesetzt ist, sondern ein rein vernünftiges Wesen voll Klarheit, das die Luft zur Flamme umschuf, und wie der Sturm eine Po­saune anbläst, so laute Töne von sich gab, dass die in der Ferne Stehenden so gut es hörten als die Nächsten. Diese Wunderstimme war mit göttlicher Kraft ausgerüstet und ergoss sich überall hin; auch wurde sie nicht von den Ohren, sondern durch die Seelen ver­nommen. Denn das Organ des leibli­chen Ohres ist nur dann tätig, wenn es von der bewegten Luft angeregt wird, aber das Ohr der gottbegeisterten Seele eilt den Reden selbst voraus.« Somit war es eine göttliche Kraft, welche die Gesetze verkündete, nicht Gott selbst. Wir erinnern daran, dass nach obigen Zitaten Philo den Logos als den Offen­barer des Gesetzes an Moses hält. Wir erkennen auch darin eine konsequente Folge obiger philonischen Annahme ei­nes vorweltlichen Urstoffes und der Er­klärung der Materie als Stätte des Bö­sen und der Sünde. Mit dieser letzten Erklärungsweise haben wir bei Philo drei Auffassungen der Gottes- und Gesetzesoffenbarung auf Sinai: 1. die symbolische oder die rein rationale; 2. die wörtliche oder gläubige und 3. die mystisch-philosophische. Er spricht von allen dreien gleich, ohne die Kluft zwischen denselben zu beachten und ohne sich entschieden für eine auszu­sprechen und sie als die Seinige zu be­zeichnen. Im talmudischen Schrifttum finden alle drei Meinungen ihre Vertre­tung. Unter den Volks- und Gesetzes­lehrern des ersten und zweiten Jahr­hunderts waren diese drei Richtungen schon stark vorherrschend, die ratio­nale, die streng gläubige und die mysti­sche; so dass es uns nicht wundert, wenn wir diese drei Erklärungsweisen in den Lehren derselben antreffen. Die symbolische oder rationalistische tritt in den Aussprüchen R. Ismaels (im I. Jahrh. n.) und des R. Jose (im z. Jahrh. n.) zum Vorschein. Ersterer sieht die wörtliche Auffassung der sinaitischen Gottes- und Gesetzesoffenbarung schon wegen der Angabe in 2. M. 20. 19: »Ihr habt gesehen, dass ich vom Himmel mit euch geredet« als unmög­lich; er lehrte daher, dass die Geset­zesoffenbarung durch Gott vom Him­mel aus geschah, die auf Sinai gehört wurde. Diesem Winke folgte der Geset­zeslehrer R. Jose in seinem über die Of­fenbarung Aufsehen erregenden Aus­spruch: »Nie ließ sich die Gottheit auf Erden nieder und nie stiegen Moses und Elia in den Himmel«, denn es heißt: »Die Himmel sind die Himmel des Ewigen, aber die Erde hat er den Menschensöhnen gegeben« (Ps. 116. 16). Gegen diese Erklärungsweise leg­ten R. Akiba (in I. Jahrh. n.) u. a. m. nach ihm Protest ein und erklärten den Offenbarungsbericht nach seiner wört­lichen Auffassung, Gott ließ sich mit seinem Himmel auf Sinai nieder und offenbarte Moses das Gesetz. Aber auch diese Richtung kommt dahin, die Angaben der sinnlichen Offenbarungs­bezeichnungen als z. B. den Rauch, die Flammen und den Trompetenschall bildlich zu erklären; sie sagt: Es sind Ausdrücke, um es dem Volke verständ­lich zu machen. Schlimmer ist es mit der dritten mystischen und später kab­balistischen Deutungsweise, welche den ganzen Offenbarungsakt als nicht durch Gott, sondern durch einen Engel, gewöhnlich Metatron, geschehen erklärt. Ben Soma, ein Lehrer am Ende des ersten Jahrhundert n., lehrte: »Die Stimme Gottes an Moses war der En­gel Metatron.. Es ist die eine Lehre, die im Christentum weit verbreitet war. So lesen wir in den Evangelien Hebr. 2. 2: »Das Gesetz ist durch Engel gere­det«; Akt. 7. 53: »Durch den Dienst der Engel kam es (das Gesetz) an das Volk«; Galat. 3. 19 »Gott bediente sich der Engel, um seinen Willen zu verkün­den«; Akt. 7. 38; 30. 35: »Ein Engel hat wie beim Dornbusch mit Moses ge­redet.« Diese Annahme wird mit Nach­druck von R. Akiba bekämpft; er lehrte: »Wenn es heißt: >und er redete zu ihm<, so wird dadurch bezeichnet, dass Gott nur zu Moses, aber nicht zu einem Engel gesprochen.« Nichtsdes­toweniger hat diese Lehre noch im dritten Jahrhundert n. ihre Anhänger. R. Levi, ein Lehrer im dritten Jahrhun­dert n., bezeugt, dass einige Volksleh­rer, darschanim, so wie Ben Soma oben lehren, und R. Jonathan, ebenfalls ein Lehrer dieser Zeit, spricht von dersel­ben Lehre, obwohl schon modifiziert, wenn er, wie ein Lehrer des vierten Jahrhunderts, R. Samuel b. N. in des­sen Namen zitiert, sagt: »Jeder Aus­spruch von Gott wurde als Engel ge­schaffen.« Wir bemerken, dass in der talmudischen Mystik (s. Geheimlehre) der Engel Metatron als ein von Gott geschaffener, von ihm abhängiger En­gel gehalten, also von dem philoni­schen Logos unterschieden wird. Ausdrücklich warnt ein Lehrer Rab Idi (im 4. Jahrh. n.) vor Verwechslung Gottes mit Metatron, etwa ihn gleich Gott zu verehren. Anders verhält es sich aller­dings mit der nachtalmudischen Mys­tik und der späteren Kabbala, wo der Engel »Metatron« ganz analog dem philonischen Logos als ein zweiter Gott gehalten wird. b. die Prophetie, das Prophetentum und die Propheten. Der höhere geistige Aufschwung des Menschen in Gott, der ihn des Empfanges göttlicher Of­fenbarung fähig macht und zum Pro­pheten bildet, wird in der Bibel nur allgemein angegeben. Welche sittliche Kraft und göttliche Erkenntnis demsel­ben vorauszugehen habe, ist nicht er­wähnt. Erst die nachbiblische Literatur beschäftigt sich damit und stellt ver­schiedene Meinungen darüber auf. Philo, welcher der platonischen An­schauung von der Materie folgt und den menschlichen Leib in seinem Ge­gensatz zum Geist als Sitz des Bösen und der Sünde bezeichnet, kann nicht anders als die Verwerfung alles Sinnli­chen und Weltlichen, auch dessen Kenntnisse und Bildung, als Vorbedin­gung des Empfanges der Prophetie, der göttlichen Offenbarung, aufzustellen. »Man muss«, lehrt er, »das Wort und die äußere Form gering schätzen, wie man den Körper und die Sinne gering schätzen soll, um nur durch die Intelli­genz und in der Anschauung der ganz nackten Wahrheit zu leben. Wenn Gott zu Abraham sagt, verlasse dein Vaterland, deine Familie und das Haus dei­nes Vaters, so bedeutet dies, dass der Mensch mit seinem Körper, seinen Sin­nen, und dem Wort brechen muss, denn der Körper ist nur ein Teil der Erde, die wir zu bewohnen genötigt sind. Die Sinne sind Brüder, die Diener und die Brüder des Gedankens; das Wort endlich ist nur die Hülle und eini­germaßen die Wohnung des Verstan­des, der unser Vater ist. « Auf einer an­deren Stelle ist ihm Hagar, die mit Ismael aus dem Hause Abrahams weg­getrieben wurde, das Bild der enzykli­schen Wissenschaft, dem er hinzufügt, dass jeder, der nach einem erhabenen Range in der Geisterwelt strebt, den Patriarchen sich zum Muster nehmen müsse. Deutlicher spricht er dies in ei­nem anderen Satze aus: «Priester und Propheten sind die, welche nicht teil­haben wollen an dem Bürgerrecht die­ser Welt, sondern alles Sinnliche über­fliegen, in die Welt des Geistes sich begeben und dort ihre Wohnung neh­men«, ferner: »Wenn du am Göttlichen teilnehmen willst, so musst du nicht bloß den Leib, die sinnliche Wahrneh­mung und die Rede verlassen, sondern auch aus dir selbst musst du in prophe­tischer Begeisterung in einer Art kory­bantischen Wahnsinnes heraustreten; es muss dir sein, wie einem sprach- und bewusstlosen Kinde. »Wenn der göttli­che Wahnsinn prophetischer Begeiste­rung über den Menschen kommen soll, so müssen die Sinne des Bewusstseins in ihm untergehen; das menschliche Licht in dem göttlichen verschwinden; die Extase ist die wesentliche Form der Prophetie.« Der Prophet redet alsdann nichts Eigenes, sondern während sein eigenes Denken und Bewusstsein ver­schwunden ist, wohnt der göttliche Geist in ihm und bewegt ihn willenlos, wie die Saiten eines musikalischen In­struments. Diese philonischen Anga­ben der Vorbedingungen der Prophetie sind bekanntlich im Sinne des heidni­schen Altertums, wo Extase und Ver­zückung und Geistesabwesenheit Ei­genschaften der Seher sind in dem Augenblicke, wo sie die Weissagung empfangen und dieselbe verkünden sollen. In der Bibel und im talmudi­schen Schrifttum gelten Geistesabwe­senheit, Verzückung und Extase als Zeichen des falschen und trügerischen Propheten. Die Bedingungen und Zei­chen des wahren Propheten sind da ent­gegengesetzt: volles Bewusstsein, voll­ständige Geistesreife und ein hoher Grad erlangter Weisheit. Von einer Aszetik, die auf Unterdrückung, Störung und Vernichtung aller leiblichen Bedürfnisse oder besser alles sinnlichen Lebens aus­geht, ist da keine Erwähnung. »Dieser Wahnsinnige«, »dieser Verzückte«, sind in der Bibel Bezeichnungen des Prophe­ten im spöttischen, ironischen Sinne, dem man keinen Glauben zu schenken habe, des falschen Propheten. Gegen die Annahme, dass zum Empfange der Pro­phetie es keiner vorbereitenden geistigen Bildung, keiner vorherigen Aneignung von Weisheit bedarf, erklärt der Talmud: »Gott gibt nur dem Weisen, der schon Weisheit besitzt.« Bestimmt sind die Angaben über die Vorbedingungen der Prophetie in folgenden Lehren: »Die Gottheit (Schechina) offenbart sich nur dem Weisen, dem Starken, d. h. dem sittlich Starken und dem Rei­chen, d. h. dem sittlich Reichen, alle drei vereinigten sich in Moses.« Ein anderer Ausspruch darüber lautet: »Die Gottheit offenbart sich nicht in Folge des Trübsinnes, der Trägheit, aber auch nicht auf Scherz und Leicht­sinn, sondern nur auf die Freude in Folge eines vollbrachten Gottesgebo­tes.« Spätere Volkslehrer zählen sieben Eigenschaften des Propheten auf, unter denen die freudige Stimmung beson­ders hervorgehoben wird. Weiter leh­ren sie ausdrücklich, dass der Prophet in dem Augenblicke des Empfanges der Prophetie nicht sein eigenes Bewusst­sein verliert, so dass die Verschieden­heit der Subjektivität des Propheten in seinen Weissagungen hervortritt: »Nicht zwei Propheten weissagen in einer Weise«; ferner »Alles, was Jesaja gesehen, hat auch Jecheskel geschaut. Aber Jesaja gleicht in seinen Reden ei­nem Städtebewohner, der den König schaut, dagegen Jecheskel dem Dorfbe­wohner, der den König sieht.« c. Das Gesetz. In den Philosophe-men über das Gesetz sehen wir endlich Philo gegen seine obigen Theorien von der Welt, dem Leiblichen und Sinnli­chen Lehren aufstellen, die deutlich seinen Bruch mit denselben und seine Rückkehr zu den biblischen Anschau­ungen verkünden. In denselben er­scheint Philo wie umgewandelt, er will nur das Gesetz in seinen Lehren und Anordnungen vernunftgemäß darstel­len und dieselben als Träger höherer Ideen nachweisen, aber behauptet des­sen Verbindlichkeit und Unumstößlich­keit für alle Klassen des jüdischen Vol­kes, auch für die Gebildeten und Propheten, welche die Lehren und die Ideen, die durch die Gesetze symboli­siert werden, auch ohne diese Hülle, das Gesetz, zu fassen vermögen. Philo bekennt sich somit als strenggläubiger und gesetzestreuer Jude und aus seiner Gesetzesauffassung ersehen wir, dass er es aus Überzeugung gewesen; er war kein Mann der Formfrömmelei, son­dern ein von den Ideen des Judentums erleuchteter und durchdrungener Jude. Das Gesetz, das den Menschen auf die Welt und die Gesellschaft verweist, ihn zu Werken gegen dieselben verpflich­tet, welche die Erhaltung und Förde­rung derselben bezwecken mit der An­weisung, dass er in diesen weltlichen Werken seine Glückseligkeit und wahre geistige Vollendung suchen und finden soll, ein solches Gesetz, das dem Men­schen nur durch das Weltliche den Weg zum Göttlichen, zur geistigen Vollkom­menheit und Seligkeit zeigt, kann auf keine Anhänger und Verehrer bei de­nen zählen, die das Weltliche als Stätte des Bösen und der Sünde halten. Die Verachtung und Verwerfung alles Welt­lichen und die Zurückziehung von allen ihren Werken, um so losgelöst von derselben zur inneren Beschaulichkeit zu gelangen, sind, nach ihnen, die Mit­tel zur wahren Glückseligkeit. Philo, der diese Philosopheme teilte, diesel­ben lehrte und deren Richtigkeit nach­wies, durfte, um konsequent zu sein, kein Anhänger des Gesetzes in seiner praktischen Bedeutsamkeit werden und hätte sich mit der Erfassung des­sen Geistes und der den Gesetzen zu Grunde liegenden Ideen begnügen müssen und nicht dessen Verbindlich­keit als unumstößliche Bedingung für sich und die anderen Glaubensgenos­sen hinstellen. Aber er hat anstatt des­sen die Verpflichtung für die wirkliche Vollziehung des Gesetzes ausgespro­chen, das bezeugt die Rückkehr Philos zu den biblischen Anschauungen von der Welt und der Menschenbestim­mung. Das Judentum hat in ihm die heidnischen Anschauungen von der Welt besiegt, und er bekannte sich zu den durch das Gesetz angegebenen weltlichen Mitteln, äußeren Werken, die ihm zur inneren Vollendung und Glückseligkeit verhelfen sollen. »Es gibt Leute«, lehrte er, »welche die ge­schriebenen Gesetze für Sinnbilder geistiger Lehren halten, letztere mit al­ler Sorgfalt aufsuchen, erstere aber ver­achten. Leute der Art kann ich nur ta­deln, denn sie sollten auf beides bedacht sein, auf Erkenntnis des Verborgenen und auf Beobachtung des offenen Sin­nes. Nun aber leben sie ganz für sich, als wären sie in einer Wüste oder nur körperlose Seelen, sie wissen nichts von der Stadt, von dem Dorfe, nichts von ihrem Hause, nichts von dem Ver­kehr mit anderen Menschen und wol­len alle Ansichten der Menge überflü­geln und die nackte Wahrheit erhaschen, da doch die heilige Schrift sie auffordert, für den guten Ruf Sorge zu tragen und nichts in den Gesetzen abzuändern, die von außerordentlichen und gottbegeisterten Männern gegeben wurden. Denn wenn auch unter der Feier des Shabbaths ein tieferer Sinn verborgen ist, dass Gott allein Tätig­keit, dagegen der Kreatur Leiden zu­kommt, so wollen wir deshalb keines­wegs die betreffenden Vorschriften über seine Heilighaltung verletzen, wir dürfen also am Shabbathe kein Feuer machen, die Erde nicht bebauen oder Lasten tragen, anklagen, richten, an­vertrautes Gut zurückfordern u. a. m. Und wenn jedes Fest eigentlich nur ein Sinnbild der Seelenfreude und der Dankbarkeit gegen Gott ist, so dürfen wir deshalb die gewöhnlichen Feier­lichkeiten und Gebräuche nicht aufge­ben. Desgleichen wenn die Beschnei­dung eigentlich Entfernung von jeglicher Leidenschaft und Wolllust und von gottlosen Gedanken bedeutet, so dürfen wir deshalb den anbefohle­nen Gebrauch nicht hinten ansetzen. Denn hielten wir nur den höheren Sinn fest, müssten wir ja auch der Heiligung im Tempel und Tausenden anderen notwendigen Feierlichkeiten entsa­gen. « Auf einer anderen Stelle sagt er: »Der mag den äußeren Brauch ver­nachlässigen, der des Körpers ledig und als reiner Geist das Irdische abge­streift hat. So lange wir aber weder körperlos sind, noch in der Wüste le­ben, sind wir an die irdische Form ge­bunden und haben die Wahrheit nicht ohne die Hülle.« Wie Philo hier die Ideen des Shabbaths, der Feste und der Beschneidung darstellt, so versteht er die Lehren auch aller anderen Gesetze aufzufinden und klarzulegen. Es dürfte nicht uninteressant sein, Philo auf die­sem Wege seiner Forschung zu folgen und seine Resultate, so weit es hier der Raum gestattet, anzuführen; sie bilden einen bedeutenden Beitrag zur Schrift­auslegung unserer Midraschliteratur. Von denselben nennen wir: I. Die des Kultusgesetzes. In dem Opfer erkennt er nur eine symbolische Handlung; es soll darstellen, wie wir den Tod verdienen. Gott will nur die Gesinnung, die das Opfer begleitet, die auch da ist, wo kein Fleisch verbrannt wird. Gott ist allwissend, auch gehört ihm alles, nicht er bedarf des Opfers, sondern der Mensch. Auch die Ge­setzeslehrer im Talmud haben dieselbe Auffassung vom Opfer: »So der Arme seine Mehlopfer darbringt, rechne ich es ihm an, als wenn er sich selbst geop­fert hätte.« »Der eine viel und der an­dere wenig, wenn nur die Richtung des Herzens zu Gott war.. Von tiefer Reli­giosität atmen seine Worte über den Versöhnungstag. »Wer bewundert und verehrt nicht den jährlich wiederkeh­ renden Fasttag. Denn wenn man star­ken Wein, kostbare Mahlzeiten, und überhaupt üppige Speisen und Ge­tränke genießt, durch die den unersätt­lichen Begierden des Magens gefrönt wird, befördert man auch die unkeu­schen Triebe. Wo es aber nicht erlaubt ist, Speise oder Trank zu sich zu neh­men, damit jeder mit reinem Gedanken ohne Behinderung und Abwendung durch leibliche Leidenschaften das Fest feiern möge, da flehen alle zum Vater der Welt mit frommem Gebet, um da­durch die Vergebung der früheren Fehltritte, auch um die Verleihung neuer Wohltaten zu erbitten.« Mehr allgemein als tief ist seine Auffassung von den Speisegesetzen. »Es dürfen«, sagt er, »nur Tiere gegessen werden, die gespaltene Klauen haben und wie­derkauend sind (3. M. 11); das Wie­derkauen ist das Bild des Gedächt­nisses. Es ruft sich mancher Jünger der Wissenschaft seine Wahrnehmungen zurück, aber er scheidet nicht das Gute vom Schlechten, darum wird die ge­teilte Klaue verlangt, dass er teile und scheide. Mit einem richtigen Gefühl erkennt er in den Gesetzen von den Tieren, das Neugeborene nicht vor acht Tagen weder zu seinem eigenen Gebrauch, noch als Opfer zu schlach­ten, ebenso nicht den Vater mit seinem Jungen an einem Tage zu töten, nicht das Zicklein in der Milch seiner Mut­ter zu kochen u. a. m., die Idee der Liebe in das Menschenherz zu pflanzen und jeden Akt der Grausamkeit von ihm fernzuhalten.« »Mit diesen Geset­zen«, lehrte er, »verlangt unser Gesetz­geber auch für die Tiere Sorgfalt, da­mit wir dadurch gewöhnt werden, mit umso größerem Eifer Menschenliebe zu üben, jedes Unrecht zu fliehen. Mö­gen immerhin die Sykophanten un­serem Volke Lieblosigkeit, unserem Gesetze Schroffheit vorwerfen; Geset­zen, von denen selbst die Tiere so sanft behandelt und die Menschen von zar­tester Jugend an Milde und Liebe zu üben gewöhnt werden.. So sagt er in Betreff des ersten Gesetzes: »Es sei ja eine grausame, jeder Menschlichkeit hohnsprechende Handlung, den Gebä­renden nachzustellen, um ihnen das Neugeborene wegen eines Magens-oder Gaumenkitzels zu entreißen.« Er stellt diese Anordnung denen entgegen, welche die Kinder gleich nach der Ge­burt aussetzen und dem Tode preisge­ben. In Bezug auf das Zweite hören wir ihn ausrufen: »Denn welch einen Genuss kann eine Kost, die aus einer Mischung von milchhaltigem Fleische des Säuglings und den Eingeweiden der Mutter besteht, bereiten? « Zur Er­' klärung des Dritten- heißt es: »Er hält es nämlich für höchst sündhaft, dasje­nige, was dem lebenden Tiere zur Nah­rung gedient hat, zur Würze des Getö­teten zu verwenden und meint, es sei der äußerste Grad von Unmäßigkeit, die von der versorglichen Natur zur Erhaltung der Gattung den Brüsten ge­spendete Milch in solcher Weise zu missbrauchen. 2. Die Rechts- und Sittenlehre. Von den Kriegsgesetzen 5. M. 20. 5 erklärt er die Ansprache an die Krieger, welche diejenigen vom Kampf befreit, die ein neues Haus gebaut und es noch nicht bezogen; eine Frau sich angelobt, einen Weinberg gepflanzt und noch nicht die erste Weinlese gehalten haben, in Fol­genden: »Zieht den Krieger ein tiefes, inneres Verlangen vom Schlachtfelde weg, so lodert der kriegerische Geist minder auf und die Kriegslust bricht nur gedämpft hervor. Der Betreffende ist mit seinem besseren Teile, dem Geist, abwesend.« Dem Gesetze über die Friedensvorschläge vor Beginn des Krieges liegt die Idee zu Grunde, dass man in Folge der Annahme Freunde ge­winnen und bei Nichtannahme dersel­ben die Krieget; gestützt auf ihre gerechte Sache, mit Siegeszuversicht in den Krieg stürmen können. Das Verbot des Wu­chers schärft er mit folgendem Nach­druck ein: »Man betrachte nur jene schmutzigen, mitten in ihren Reichtü­mern lechzenden und verschmachtenden Obolusmänner, die man Goldkönige nennen könnte. Diese Erbärmlichsten aller Menschen, die selbst mit den Nah­rungsmitteln wuchern, als ob sie durch Not darauf angewiesen wären. Solche gemeinen, verwahrlosten, schmutzigen Seelen — Wucherer wollte unser Gesetz­geber aus seinem heiligen Staate ver­bannt wissen.« In voller Lobeserhebung spricht Philo über die Staatsinstitutio­nen des Shabbathjahres nach je sechs Jahren und des Jubeljahres nach je 49 Jahren und ihre Gesetze, wo der Erde eine Erholung gegönnt wird, der Sklave seine Freiheit und der Besitzlose seinen veräußerten Besitz wieder erhält. Er sieht in ihnen die göttliche Fürsorge für den Besitzlosen und den Armen. Nicht minder wichtig erscheinen ihm die Ge­setze über den Fremden und den Feind, die von einer höheren Menschenliebe zeugen. »Weiter befiehlt das Gesetz, dem Fremden, Proselyten, der nach Ablegung seiner heidnischen Sitten und Gebräuche den Göttern den Rücken kehrt und in das heilige Land einwan­dert, als Teilnehmer an allen materiel­len und geistigen Gütern, als Genossen in Freud und Leid zu betrachten und ihn als Glied eines und desselben Kör­pers, alle Vorteile desselben genießen zu lassen. Ich will es nicht besonders hervorheben, dass das Gesetz anord­net, dem Eingewanderten Speise, Trank, Kleidung nebst anderen zum Leben nötigen Sachen zu reichen, denn das ergibt sich von selbst in einem Staate, dessen Bürger die Eingewan­derten, wie sich selbst, achten und schätzen. « Die gegen den Feind zu er­weisende Menschenliebe befehlen die Gesetze 2. M. 23. 4. 5, die verirrten Tiere des Feindes zurückgeben; dem Esel des Feindes, der unter seiner Last hinstürzt, aufzuhelfen u. a. m. Philo fügt denselben hinzu: »Dieses' ist nicht nur ihm (dem Feinde), sondern auch dir von Nutzen. Wer eine Wohltat empfängt, ist zur Versöhnung geneigt, und wer sie erteilt, fühlt sich zu dem hingezogen, dem er sie erteilt, und so erwacht ein Gefühl der Annäherung, das dem Einzelnen und der Gesamtheit zum Heile ist. « Einen anderen Zug von Menschenliebe erkennt Philo in dem Gesetze, den Tagelöhner seinen Lohn am Abend sofort zu zahlen (5. M. 24. 14. 15; 3. M. 19. 14). »Wird dieser (der Lohn), ihnen zur Zeit ausgezahlt, so erzeugt dieses nicht bloß eine augen­blickliche Freude bei den Empfängern, es macht sie auch arbeitsfroher für den kommenden Tag, im anderen Falle werden sie verstimmt und untauglich für die Arbeit. « In Bezug auf die Ernte­, Oliven- und Weinlesegesetze, keine Nachlese zu halten und die Ecken des Getreidefeldes für die Armen zu lassen (3. M. 19), sagt er: »So erbarmt sich Gott wie ein liebreicher Vater, da er sieht, dass nicht alle seine Kinder vom Glücke gleich begünstigt sind, seiner notleidenden Kinder, heißt sie in die Besitztümer ihrer Brüder gehen und dort in aller Bescheidenheit sich so viel zu holen, als ihre notwendigsten Be­dürfnisse erheischen, wodurch sie ge­wissermaßen zu Miteigentümern nicht nur der Früchte, sondern auch der Felder werden.« Ein anderes Gesetz, das von der Nichtverrückung der Gren­zen (5. M. 19. 14), enthält nach ihm auch das Gebot zur Beobachtung alter Sitten, der Verordnungen der Männer der Vorzeit. »Es sind die Kinder ver­pflichtet, das Erbe der Väter anzutre­ten, die väterlichen Sitten und ihre Überlieferungen nicht zu verachten.« Ebenso erklärt er das Verbot 5. M. 22. 5: Es ziehe nicht der Mann die Kleider des Weibes an, dass der Mann überall als tapferer Kämpfer gegen Laster und Sinnlichkeit auftreten und keine Spur von Weichlichkeit, wie sie im weib­lichen Gewand sich ausdrückt, an sich tragen soll. Aber auch: »Die Frau soll nicht männliches Gewand tragen (das.), d. h. dass im Staate weder wei­bische Männer, noch Mannfrauen sein, beides ändert die Ordnung. « Diese und ähnliche bald im Gesetze nur angedeu­tete, bald auch offen ausgesprochene Grundangaben der Gebote erscheinen ihm als eine weise Fürsorge, weil das Gesetz nicht für Sklaven, sondern für Freie bestimmt war und mehr eine Mahnung und Aufforderung als ein Befehl sein soll. Einen Hauptgrund des Gesetzes in seiner Gesamtheit, als Prin­zip des ganzen Gesetzes, stellt er die Gottähnlichkeit in ihrer praktischen Bedeutung auf: dass wir nach Kräften Gott nachahmen und keine Gelegen­heit, Gott ähnlich zu werden, fahren lassen mögen. Auch die Gesetzeslehrer im talmudischen Schrifttum nennen die Gottähnlichkeit als Prinzip des Sitten­gesetzes. Nur in der Definition dieser Gottähnlichkeit unterscheidet sich Philo von den Gesetzeslehrern in Paläs­tina. Diese stellen die geoffenbarten Liebeswerke Gottes an den Menschen als Muster zur Nachahmung auf, aber Philo gibt einen anderen Modus an. »Du kannst aber«, lehrt er, »Gott inso­fern ähnlich werden, als du die dir von dem Mächtigeren zuteil gewordene Stärke in derselben Weise anderen zu­gute kommen lässt, wie du durch die­selbe beglückt wurdest. Denn dem all­gemeinen Wohl gelten die Gnade und die Wohltaten Gottes, dass man sie freigebe und sie gleichsam zu einem öf­fentlichen Mahle mache, an welchem alle Anteil haben. Es werden somit die Reichen, Berühmten, Mächtigen und Gelehrten aufgefordert, ihre Nächsten reich, kräftig, gelehrt und überhaupt gut zu machen. Überhaupt ist das Ziel, welches unser heiliger Gesetzgeber in seiner ganzen Gesetzgebung anstrebt, dieses, dass Eintracht, Freundschaft und Gleichheit der Sitten allenthalben vorwalten, wodurch die Familie, der Staat, die Völker und die Reiche und endlich das gesamte Menschenge­schlecht zur höchsten Glückseligkeit gelangen können.« Auf einer anderen Stelle heißt es darüber von ihm: »Das Gesetz enthält das in der Natur sich of­fenbarende Gesetz; es gibt somit die Anleitung nach der Natur (naturge­mäß) zu leben. Der Gesetzestreue soll dem Vorbild der Natur nacheifern und sein Leben nach den Ordnungen der Welt einrichten.« Philo ist für das mo­saische Gesetz so sehr begeistert und von der Wichtigkeit desselben für die ganze Menschheit so tief durchdrun­gen, dass er ihm Unvernichtbarkeit und die Zuwendung aller Völker pro­phezeit. Nur Moses Gesetze bleiben fest, unerschütterlich, unzerstörbar, wie mit dem Siegel der Natur selbst bezeichnet, ununterbrochen von dem Tage ihrer Erteilung bis auf unsere Zeit, und sie werden zuversichtlich als unsterblich immer bestehen, so lang noch Sonne, Mond, Himmel und die ganze Welt bestehen. »Ich glaube, spricht er, die Menschen werden ihre eigenen Gebräuche unterlassen, die vä­terlichen Sitten aufgeben und nur noch diese Gesetze verehren. Denn bei glück­licher Lage des Volkes werden auch diese Gesetze heller aufstrahlen und die anderen alle verdunkeln, wie die auf­steigende Sonne die Sterne. « So groß auch die Begeisterung Philos in dieser Auffassung des Gesetzes und in dem an dieselbe sich knüpfenden Räsonnement war, vermochte sie doch nur wenig den aufgeklärten Juden in Alexandrien Ach­tung vor dem mosaischen Gesetze ein­zuflößen und sie zur Beobachtung der­selben zu bewegen. Philo allein bildete und blieb unter ihnen eine Ausnahme in der gewissenhaften und pünktlichen Vollziehung des Gesetzes. Wäre ja er selbst in der konsequenten Richtung seiner oben angegebenen Philosopheme, wie wir schon bemerkt haben, zur Ver­wertung des Gesetzes in seiner wirkli­chen Vollziehung gelangt, wenn nicht in ihm die Pietät und die Anhänglichkeit an dem ihm überkommenen väterlichen Glauben obsiegt hätten. So war dieses Festhalten an dem Gesetze von Seiten Philos eine Abweichung von der grie­chischen Bildung und der griechischen Philosophie, dem Platonismus und der Stoa, die nur für ihn, aber nicht für andere der griechisch gebildeten Juden, aus deren Herzen längst jede Pietät für die väterliche Religion geschwunden war, maßgebend sein konnte. Die Kon­sequenz dieser Richtung trat im Chris­tentum hervor, und zwar durch Paulus, der, als Hellenist, sich offen von jeder Verpflichtung zur ferneren Gesetzes­vollziehung gegen die Lehren der Ju­denchristen in Palästina, die nicht aus dem Hellenismus hervorgegangen wa­ren, lossagte und auch die anderen An­hänger des Christentums, das seine Dogmen auf dem Boden der alexandri­nischen Philosopheme aufbaute, davon entband. Unter den Juden in Palästina, und wohl auch bei ihren gesetzestreuen Glaubensgenossen in Alexandrien, er­regte dieser offen zutage tretende Ab­fall vom Gesetze als Konsequenz der alexandrinischen Philosophie, deren Vertreter Philo gewesen, eine tiefe Ent­rüstung. Von Seiten der Gesetzeslehrer in Palästina erhoben sich Proteste da­gegen. Man ging noch weiter und wollte von der ganzen zum Teil oben genannten allegorischen Gesetzeserklä­rung und Gesetzesauffassung der Ale­xandriner nichts wissen und hielt die­selbe als eine unjüdische und zum Abfall führende. Zunächst war es jene alexandrinische, oben auch zitierte Ge­setzesauffassung, welche als Grund vie­ler Gebote die Liebe und Barmherzig­keit Gottes gegen Menschen und Tiere angab, die bekämpft und als sektiere­risch, minäisch perhorresziert wurde. »Wer da spricht«, heißt es in der Mischna an mehreren Stellen: »Gott über ein Vogelnest erstreckt sich deine Barmherzigkeit (eine Anspielung auf 5. M. 22. 5, das Gesetz vom Auffinden ei­nes Vogelnestes) und wegen des Guten wird dein Namen gedacht! Den heiße man schweigen.« Die Kürze dieses Sat­zes beweist dessen Alter. Ein Lehrer des dritten Jahrhunderts n., R. Sebid, gibt als Grund hierzu an: »Weil dadurch Gottes Eigenschaften nur Liebe und Barmherzigkeit werden, die doch auch die strenge Gerechtigkeit zu ihrem Grunde haben.« Das Gebet selbst, wo­von die Mischna oben spricht, wird ausführlicher zitiert und lautet: »Gott, wie du dich der Mutter mit dem Küch­lein erbarmst (5. M. 22. 5), Mitleid hast gegen die Mutter mit ihren Jungen, sie nicht an einem Tage schlachten zu lassen (3. M. 22. 28), erbarme dich un­ser!. Ein Lehrer des dritten Jahrhun­derts n., R. Jose ben Abia lehrte: Wer zur Übersetzung der Gebote im 3. M. 22. 28 hinzufügt: »Mein Volk! So wie wir im Himmel barmherzig sind, sei auch du auf Erden! «, tut Unrecht, denn man macht dadurch die Gesetze Gottes nur zu Werken der Barmherzigkeit. Man ging darin weiter und hielt jede Forschung nach dem Grund der Ge­setze, jede Angabe über deren Ursache als sündhaft und ketzerisch. Die Ge­setze sollten nur als Befehle Gottes gel­ten, nach deren Grund zu fragen uns nicht zusteht. Als ersten Volks- und Ge­setzeslehrer dieser Richtung nennen wir R. Jochanan b. Sakai im ersten Jahrhundert n., er rief belehrend seinen Jün­gern wegen des Gesetzes der Reini­gungsasche zu: »Wisset, nicht das Sprengwasser mit der Asche reinigt, auch die Leiche verunreinigt nicht, aber ein Gesetz Gottes ist es, nach dessen Grund wir nicht zu forschen haben. « In demselben Sinne lehrte am Anfange des zweiten Jahrhunderts n. R. Elasar ben Asaria: »Der Mensch sage nicht, ich möchte nicht dieses oder jenes Verbo­tene genießen, sondern spreche: Ich möchte es, aber mein Vater im Himmel hat es verboten, da man dadurch das Gottesreich auf sich nimmt. « Ein ande­rer Lehrer dieser Zeit, R. Jizchak, gibt deutlich die Verleitung zur Nichtvoll­ziehung des Gesetzes als Ursache an, weshalb man nicht nach dem Grund des Gesetzes forschen soll. »Weshalb sind die Gründe der Gesetze nicht in der Schrift angegeben?« »Siehe«, ant­wortete er darauf, »zweimal offenbarte das Gesetz den Grund, aber dies verlei­tete den König Salomo zur Gesetzesü- bertretung. Das Gesetz verbietet dem König, sich viele Frauen zu nehmen«, und gibt hierzu den Grund an: »damit sie sein Herz von Gott nicht abführen. Da dachte sich Salomo, ich werde nicht von Gott abweichen und heiratete viele Frauen. Was geschah? »Es war in den alten Tagen Salomos, und seine Frauen wendeten ihm sein Herz von Gott ab (1. K. 16).« Ferner verbietet das Gesetz dem König, sich viele Pferde anzuschaf- fen, dem er hinzufügt: »damit er nicht nach Ägypten zurückkehre.« Da sprach Salomo: »Ich schaffe mir viele Pferde an und werde trotzdem nicht nach Ägypten zurückkehren. « Doch geschah es, dass er später nach Ägypten kam (1. K. 16). In demselben Sinne eifern noch die Lehrer des dritten Jahrhunderts n. R. Jose ben Chanina lehrte in Bezug auf das Gesetz von der roten Kuh (4. M. 19): »Gott hat Moses den Grund des Gesetzes offenbart, aber anderen sie verborgen.« Auch im vierten und fünf­ten Jahrhundert n. eifern noch die Volkslehrer unermüdlich gegen die An­gaben von Gesetzesursachen. »Lohn werden die erhalten, welche die Gründe des Gesetzes verheimlichen, die der Alte an Tagen (Gott) verheimlicht hat«, lau­tet die Lehre des einen. Der andere sagt: »Und die Zerrüttung unter deiner Hand« (Jesaja 3), das sind die Sachen, die die Menschen nicht eher erkennen, bis sie daran straucheln, nämlich die Erforschung der Gründe des Gesetzes.« Das alles vermochte jedoch nicht die Forschungen nach den Gesetzesgrün­den völlig zu beseitigen. Es haben sich dieselben ganz nach dem Vorbilde der alexandrinischen Philosophie während der ganzen talmudischen Zeit immer wiederholt. Vor Rabbi, einem Lehrer im vierten Jahrhundert n., trug ein Ge­lehrter folgendes Gebet vor: »Herr, du schontest des Vogelnestes, o schone und erbarme dich unser! Du hattest Mitleid mit dem Vieh, es nicht mit sei­nem Jungen an einem Tage schlachten zu lassen, o schone und erbarme dich unser!. Worauf ihm dieser entgegnete: »Wie sehr verstehst du deinen Schöpfer zu bereden!. Wir haben also noch im vierten Jahrhundert n. eine Wiederho­lung der obigen philonischen Geset­zesauslegung in Form eines Gebetes. Ein ganzes Stück dieser Art philoni­schen Gesetzesauffassung bei den Ge­setzes- und Volkslehrern hat sich noch im Midrasch erhalten. Dasselbe lautet: »Am achten Tage bestimmte das Gesetz die Beschneidung, denn Gott hatte Barmherzigkeit zu warten, bis das Kind gekräftigt sein werde. Wie Gottes Barmherzigkeit sich über den Men­schen erstreckt, so auch über das Vieh; erst vom achten Tage und weiter darf das Neugeborene geschlachtet werden« (3. M. 22); das Vieh mit seinem Jungen soll nicht an einem Tage getötet werden (das.). Auf gleiche Weise erbarmte sich Gott über das Geflügel, ein Beweis da­für ist das Gesetz von dem Auffinden eines Vogelnestes (5. M. 22. 6). Auch die Angaben anderer Gesetzesgründe werden ungescheut vorgetragen. So be­lehrt uns R. Levi (im 2. Jahrh. n.), dass die Kultusinstitution des Opfers einge­setzt wurde, um das Volk von der Op­ferung in den Götzentempeln zurück­zuhalten, ein Prohibitivmittel gegen den Götzendienst. »Ein Prinz«, so heißt sein Gleichnis darüber, wurde hochmütig und erlaubte sich den Genuss verbote­ner Speisen. Hiervon erhielt der König, der Vater desselben, Nachricht und be­fahl diesem Sohne, täglich an seinem Tische zu speisen, damit er von seiner Sünde lasse. So verhielt es sich mit dem Opfergesetz. Israel war dem Götzen­dienst ergeben, brachte den Waldteu­feln (Seirim) Opfer dar (3. M. 17. 8) und opferte auf Anhöhen. « Da befahl Gott: »Nun sollt ihr vor mir im Zelt­heiligtum zu jeder Zeit eure Opfer dar­bringen, damit ihr vom Götzendienst zurückgehalten und gerettet werdet.« Besonders waren es die zur Mystik sich hinneigenden Volks- und Gesetzesleh­rer, welche gern nach den Gründen des Gesetzes forschten. Es stellte Rabh (R. Abba im 3. Jahrh. n.) als Hauptgrund aller Gesetze im Pentateuch auf: »Die Gebote sind nur gegeben, um die Men­schen sittlich zu läutern. Was liegt Gott daran, ob man das Tier am Halse oder am Genick schlachtet, wahrlich, die Gebote haben nur den Zweck, die Menschen durch dieselben sittlich zu läutern«, denn es heißt: ,»Das Wort Gottes ist eine Läuterung, ein Schild al­len, die ihm vertrauen (Ps. 18. 31).« Wir machen auf diese Angabe Rabhs um so aufmerksamer, weil sie uns zu­gleich die Tötung der Tiere durch das Schlachten am Halse als Akt der Milde gegen dieselben vorführt, die den Men­schen sittlich läutern, d: h. ihn an Wer­ken der Schonung und Liebe gewöhnen soll. Wer erinnert sich dabei nicht der schönen Worte Philos: »Wer ferner ge­gen Tiere nicht hart zu handeln wagt, wird selbstverständlich daraus folgern, dass er bei weitem größere Rücksichten noch den Menschen schuldig ist. Durch solche Gesetze veredelte er (der Gesetz­geber) den Geist seines Volkes und be­freite es auf diese Weise von der Anma­ßung und dem Hochmut.« Auch die Targumim als z. B. das Pseudo — Jona­than — targum, scheut es nicht gegen obiges Verbot der alten Gesetzeslehrer die Liebe und Barmherzigkeit als den Grund des Gesetzes, »das Vieh mit sei­nem Jungen nicht an einem Tage zu schlachten« in Folgendem anzugeben: »Mein Volk, Söhne Israels! So wie euer Vater im Himmel barmherzig gegen euch ist, so sollt ihr auf der Erde Barm­herzigkeit üben, ein Rind oder ein Lamm mit seinen Jungen nicht an einem Tage zu schlachten.« Eine ganze Aus­beute von Forschungen nach Gesetzes-gründen enthält das Soharbuch, die Bi­bel der Kabbala. Ebenso erschöpfen sich in Angaben von Gesetzesgründen die jüdischen Philosophen des Mittelal­ters: Maimonides in seinem Buch More Nebuchim Abschnitt III, 26 — 46; Sefer Hamizwoth Verbot 317 und Mischne Thora; Nachmanides in seinem Penta­teuchkommentar an mehreren Stellen, vorzüglich im 5. Buch Moses u. a.m., von denen besonders der Verfasser des Buches »Sepher Hachinuch«, »Buch der Vorbereitung und Anleitung«, her­vorzuheben ist.