Jehuda ben Ilai

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Jehuda ben Ilai, Juda Sohn Ilai; Gesetzeslehrer in der letzten Hälfte des zweiten Jahrhunderts n., Sohn des Ge­setzeslehrers Ilai, Schüler der drei großen Lehrer des R. Tarphon, des R. Akiba und seines Vaters. Kollege der bedeutendsten Gesetzeslehrer als z. B. des R. Mair, R. Jose und R. Simon ben Jochai, R. Nechemia, R. Elasar ben Schemua, R Eleasar Sohn Jakob u. a. m. Durch seinen Vater, der ein Schüler des R. Elieser ben Hyrkanos und Kollege der Lehrer R. Josua, R. Gamliel II., R. Ismael, R. Elieser ben Asaria, R. Jose Haglili, R. Jochanan Sohn Nari war, wurde ihm die Geset­zeskunde dieser Männer übermittelt, sodass er auch ihre Gesetzesentschei­dungen zitiert, und im weiteren Sinne auch als ihr Schüler betrachtet und ge­nannt wird. So vereinigte- er in sich die Gesetzeskunde, den Traditionsstoff und die archäologischen Kenntnisse der vor- und nachbarkochbaischen Zeit bis auf den Patriarchen R. Juda I., dessen Lehrer er gewesen. Mit beson­derer Vorliebe hing er an seinem Leh­rer R. Tarphon, vor dem er in seinem 13. Lebensjahre das Estherbuch am Purimfest vorgelesen hat, und dessen Halachoth er mit viel Nachdruck ge­gen die der anderen behauptete. Wir erkennen darin seine Hinneigung zur samaitischen Schule, als deren letzter Lehrer R. Tarphon angesehen wird. Auch sein Vater Ilai war ein Schüler des Samaiten R. Elieser ben Hyrkanos, von dem ihm diese seine Hinneigung zu dieser alten Halacharichtung der Samaiten überkommen sein mag. So gibt er den Grund seines Vortrages der Gesetzesentscheidungen des Lehrers R. Elieser ben Hyrkanos, die doch einmal keine Gesetzeskraft haben, darin an, weil ihm dieselben als die eines Lehrers seines Vaters lieb und teuer sind. Fer­ner suchte er seinen Bildungsgang da­durch zu erweitern, dass er den Um­gang der bedeutendsten Lehrer aufsuchte und durch Beobachtung ih­rer Lebensführung, als z. B. des Akiba und R. Eleasar ben Asaria, seine Kennt­nisse vergrößerte und so vieles von den in ihrem Leben sich äußernden Taten lernte. So erweiterte sich sein Gesichtskreis, er hat die Lehren nicht bloß als Theorien, sondern auch in ihrer prak­tischen Bedeutsamkeit kennen gelernt. Hierzu verband er die vorzüglichsten Eigenschaften, die ihn als den großen Mann erscheinen lassen. Er lebte in drückender Armut, aber fühlte das Drückende derselben weniger, da er sich an die einfachsten Lebensbedürf­nisse gewöhnt hatte. So war es ihm möglich, jede ihm angebotene Unter­stützung edelmütig zurückzuweisen. Seine Frau fertigte einen Mantel an, dessen sich beide abwechselnd bedien­ten, die Frau, wenn sie auf den Markt zum Einkauf der Lebensmittel ging, der Mann, wenn er in das Lehrhaus eilte. Da ereignete es sich, dass der Pa­triarch R. Simon b. Gamliel II., einen Fastengottesdienst veranstaltete, zu dem er nicht erscheinen konnte. Die Frau machte einen nötigen Gang und hatte sich den Mantel umgenommen. Dem Patriarchen fiel seine Abwesenheit auf und fragt seine Umgebung nach deren Ursache. Sei verrieten ihm den rich­tigen Grund, dass er nur ein Oberkleid habe. Sofort ließ er ihm durch einen Diener einen Mantel überreichen. R. Juda wies freundlich das Geschenk zu­rück, indem er dem Diener sagte, dass er wohl so viel besitze, sich noch ein Obergewand anzuschaffen, aber das­selbe grundsätzlich nicht tue, um nicht aus der angenommenen einfachen Le­bensweise herauszukommen. Eine andre Stelle erzählt: »Man brachte vor R. Juda und R. Simon überreife Feigen.

Ersterer aß sie, aber letzterer nicht. Da fragt jener diesen: »Warum hast du nichts davon gegessen?. »Weil sie schwer verdaulich sind«, antwortete dieser. »Desto besser«, entgegnete R. Juda, »braucht man morgens nichts zu essen.. Trotzdem war seine Gestalt eine äußerst schöne und imposante, die man wegen ihrer Fülle und Frische nicht wenig bewunderte. »Warum glänzt heute dein Gesicht?«, fragte ihn R. Tarphon. Er entgegnete: »Gestern brachten uns deine Diener Lattich, den aßen wir ohne Salz, hätten wir Salz dazu gehabt, unser Gesicht hätte noch mehr geglänzt.« Diese seine prächtige Gestalt machte auf seine Jünger einen solch überwältigenden Eindruck, dass er ihnen am Rüsttag des Shabbaths, wenn er nach genommenem Bade bes­sere Gewänder angelegt hatte, wie ein höheres Wesen erschienen war. Wegen dieser seiner Körperfülle würden ihn andere, die ihn nicht kannten, für ei­nen Säufer oder einen Wucherer oder Schweinezüchter gehalten haben. Und in der Tat wurde manches Stichwort in diesem Sinne von nicht-jüdischer Seite an ihn gerichtet. »Dein feistes Gesicht glänzt, du bist entweder ein Zechbru­der, ein Wucherer oder ein Schweine­züchter!« rief ihm ein Heide zu. »Kei­nes von diesen, da dergleichen bei uns verboten ist. Aber die Beschäftigung mit der Lehre allein ist es, die mich so gestaltet, denn also heißt es: Die Weis­heit des Menschen leuchtet aus seinem Gesichte.. Von seinen andren Eigenschaften wird seine Nachsicht und De­mut noch besonders gerühmt. Er war von Natur jähzornig und leicht reizbar, aber er verstand sich so zu beherrschen, dass er als das Gegenteil davon er­schien. Ebenso war es mit seiner religi­ösen Richtung. Er gehörte der chassi­däisch-pharisäischen Richtung an, war ein stocknationaler Jude, ganz im Sine der samaitischen Schule, aber wusste sich über diesen beengenden Stand­punkt so zu erheben, dass wir ihn als den vorurteilsfreien Mann nicht genug bewundern können. Die Erinnerung an die Zerstörung Jerusalems versenkte ihn in die tiefste Trauer. Den Trauertag um dieselbe, den 9. Ab, wollte er in der größten Strenge begangen wissen, was ihn in Konflikte mit seinen Kollegen verwickelte. Am Vorabend desselben musste man ihm Brot, Salz und Wasser bringen. Er setzte sich damit in die Ecke des Hauses und hielt ein völliges Trauermahl, wie um den Tod eines teu­ren Familiengliedes. Nichtsdestoweni­ger war er von keinem Hass gegen die Römer, die Zerstörer des Heiligtums erfüllt; er erkannte vielmehr gegen die Äußerungen seiner Kollegen ihre Ver­dienste vollständig an. Mit seinen Kol­legen R. Jose und R. Simon unterhielt er sich über die Römer; er lobte ihre Anlegung von Markplätzen, ihre Brü­ckenbauten, ihre Badeanstalten u. a. m. R. Jose hörte ihm zu und schwieg. Aber R. Simon gefiel diese Lobeserhebung nicht, er rief ihm zu: »Das alles errich­ten sie nur aus ihrem eigenen Nutzen: Brücken zur Einnahme von Steuern, Marktplätze für ihre Buhldirnen und Badeanstalten, um sich zu vergnügen. « Sein sittlicher Charakter war so stark, dass ihm Taten zugeschrieben werden, die ihn als einen zweiten Joseph er­scheinen lassen. Weiter wird seine Teil­nahme an dem Wohl und dem Weh der Mitmenschen stark hervorgehoben. Das Gesetzesstudium war ihm die liebste und heiligste Beschäftigung; er unterbrach dieselbe, so oft ein Leichen­zug oder ein Brautgeleit vorüberzog und schloss sich dem Gefolge an. Desto strenger war er gegen sich; er unter­brach das Studium nicht, als ihm der Tod seines Sohnes angekündigt wur­de. In dieser Menschenfreundlichkeit kannte er keinen Unterschied an; er be­wies sie gegen den Idioten, Am-Haarez, und gegen die Samaritaner. Er lehrte, dass auch die mit Bewusstsein verüb­ten Sünden der Idioten wegen ihrer Unwissenheit gleich Irrtümern zu ach­ten wären. In Bezug auf die Samarita­ner war seine Entscheidung bekannt, dass die Beschneidung an einem nur von Heiden und Samaritanern be­wohnten Ort von einem Samaritaner an einem dort geborenen Knäblein jü­discher Eltern vorgenommen werden dürfe. Mit solchen Eigenschaften war er wie zum Volks- und Gesetzeslehrer geschaffen. Seine Weihe hierzu erhielt er von dem Gesetzeslehrer und Märty­rer R. Juda ben Baba nach der Besie­gung des barkochbaischen Aufstandes in der darauf erfolgten ersten Zeit der hadrianischen Verfolgungsedikte. Er gehörte zu den Jüngern, deren Weihe dieser gegen das römische Verbot vor­genommen und deshalb den Märtyrer­tod erlitten hat. Er war in Uscha, einer Stadt in Galiläa zu Hause, aber er musste in Folge dieser an ihm vorge­nommenen Weihe zum Gesetzeslehrer mit den anderen Jüngern Palästina ver­lassen. Er kehrte erst drei Jahre später nach dem Tode Hadrians und der Auf­hebung der hadrianischen Verfolgungs­edikte wieder mit seinen anderen Kol­legen zurück. Da wird er bald in seiner ganzen Größe erkannt und gewürdigt. Dem sich in Uscha konstituierenden Synhedrion stand er als Wortführer, Stellvertreter des Präsidenten vor; er soll diese Würde seinen freundlichen oben erwähnten Äußerungen über die Verdienste der Römer zu verdanken gehabt haben. Auch in dem Hause des Patriarchen genoss er hohe Achtung, er wurde vor dem Patriarchen R. Simon b. Gamliel zu seinem Rat und Geset­zeslehrer ernannt und war so der Leh­rer dessen Sohnes, des späteren Patri­archen R. Juda I.. Noch eine andere Würde, die des Chacham im Synhed­rion, war ihm zugesagt, sie konnte ihm wegen des viel älteren R. Mair, des Schülers R. Akibas, nicht sofort verlie­hen werden. Auch auf dieser seiner Höhe wich er nicht von seinen frühren Sitten und der einfachen Lebensweise ab. Um den anderen das Beispiel der Arbeit zu geben, dass sie nicht ernied­rige, sah man ihn selbst sich seinen Sessel nach dem Lehrhause tragen. Ebenso leuchtete er seinen Schülern als Muster der Genügsamkeit und Entsagung vor, auf welche auch diese Tugenden über­gingen. Ein späterer Bericht darüber lautet: »Gottesfurcht wird gelobt«, d.i. das Zeitalter des R. Juda ben Ilai, wo sechs Schüler sich mit einem Mantel begnügten und dem Thorastudium ob­lagen.« Er erreichte ein hohes Alter und überlebte seine Lehrer und sämtli­che Kollegen. Nur hatte er das Un­glück, dass ihm ein Sohn gestorben war, doch blieb ihm noch ein zweiter Sohn, der als Gelehrter ebenfalls unter dem Namen R. Jose ben Jehuda einen bedeutenden Ruf genoss. Er starb, und unter seinen Jüngern, die ihm die letzte Ehre der Begleitung erwiesen, befand sich der Patriarch R. Juda I.. In Ense­tim, wo auch sein Vater beerdigt sein soll, wurde lange sein Grab gezeigt; es war durch einen großen Leichenstein bezeichnet. Das talmudische Schrift­tum hatte eine Menge seiner Aussprü­che aus der Astronomie und über pa­lästinisch-archäologische Gegenstände, auch seiner Schriftforschung und sei­ner Gesetzesentscheidungen aufbe­wahrt, die seine großen Kenntnisse in diesen Fächern bekunden. Wir wenden uns zuerst zu seinen Gesetzesentschei­dungen in der Halacha, die seine hala­chischen Forschungen enthalten.

I. Halacha. In der Halacha ist er ein treuer Fortsetzer der Lehrtätigkeit und des Gesetzesausbaus seines großen Meisters Akiba, ja er übertrifft ihn noch darin, erbringt diesen halachischen Aus­bau zu einem gewissen Abschluss. Wir haben bereits erwähnt, dass er durch seinen gelehrten Vater Ilai, den Schüler des R. Elieser ben Hyrkanos, des Jüngers R. Jochanan ben Sakais, den Tradi­tionsstoff und den halachischen Ge­setzesausbau von der ältesten Zeit erhielt und denselben seinen Jüngern, zu denen auch der Patriarch R. Juda I. gehörte, tradierte. Letzterer hat ihn als ein Ganzes in seiner Mischnasammlung zusammengetragen. Wir unterscheiden in seinen Halachoth mehrere Klassen:

a. Die reinen Halachoth, die Ge­setzesentscheidungen ohne weitere An­gaben ihres Ursprunges oder ihrer Her­leitung. In denselben finden Ort und Leute nach der Verschiedenheit ihrer Beschaffenheit und der Kulturstufe ihre volle Berücksichtigung.

b. Die tradierten Halachoth, die Gesetzesentscheidungen, die er im Na­men seiner Lehrer und anderer Vor­gänger als z. B. des R. Gamliel II., R. Elieser, R. Josua, R. Ismael, R. Eleasar Sohn Asaria, R. Tarphon, R. Akiba, R. Jose Haglili; u. a. m. vorträgt.

c. Die hergeleiteten Halachoth. Hierher gehören diejenigen, die er der Lebensweise und den Taten der Geset­zeslehrer sowie anderen geschichtli­chen archäologischen Fakten entnom­men hat. Einige Halachoth werden mit dem Worte: השעמ, Geschichte, Tat, Ereignis, eingeleitet.

Die durch ihn erklärten und weiter ausgeführten Halachoth seiner Vorgänger. In demselben zitiert er die empfangene Halachoth mit den Er­weiterungszusätzen: »Wann ist dies«, oder »unter welchen Bedingungen«, aber auch ohne dieselben. Hierher rechnen wir ferner eine Menge seiner Halachoth, die von seinen Vorgängern als eine zeitweilige, provisorische Be­stimmung ausgesprochen sind, aber durch ihn für immer zum Gesetz erho­ben wurden.

Die aus der Schrift hergeleiteten und gefolgerten Halachoth. Hier sehen wir ihn ganz in der Lehrtätigkeit seines Meisters R. Akiba fortarbeiten. Wie dieser, so suchte auch er Begründungen für die Halachoth: 1. in dem einfachen Wortsinne des Gesetzes, 2. in den Parti­keln als z.B. »auch «, םג, תא u. a. m. 3. in den scheinbar übrigen Wörtern als z.B. רומאל, u.a.m. 4. in den Folge¬rungsregeln, תודמ . Von diesen schon in den hillelitischen Halachoth vor­kommenden Folgerungsregeln ge­brauchte er: die der Vergleichung; die des Schlusses von dem Unwichtigen auf das Wichtige; die der Ausschließung; die des Miteinschlusses; die der Gemat-ria; der Zahlenangabe der Buchstaben des Wortes; die der Notarikon; der Zer­teilung des Wortes in mehrere; die des Althikri; »Lies nicht so, sondern so«, der scheinbaren Emendierung des Schrifttextes, u. a. m. Dagegen ist er ein entschiedener Gegner des Gebrauchs der Folgerungsregel aus der Verbindung zweier aneinander stehenden Gesetze oder Abschnitte. Einen interessanten Teil in seinen Halachoth bilden die ar­chäologischen Mitteilungen über bi­blische und nachbiblische Gegenstände aus dem Kultus, der Staatseinrichtung u. a. m. Ebenso verdienen seine etymo­logischen Worterklärungen einige Auf­merksamkeit. Von seinen archäolo­gischen Mitteilungen nennen wir:

a. die Geschichtlichen. Hierher ge­hören seine Notizen von der Prosely-tin, der Königin Helene, dass sie nur 14 Jahre, nicht wie einige glaubten, 21 Jahre, Nasirärin war; ferner, dass die Weisen Israels mit ihr verkehrten, sie mit ihr bei Übertretungen des Gesetzes nachsichtsvoll waren. Ihre Laubhütte war 20 Ellen hoch und man vermahnte sie deshalb nicht. Von Bedeutung ist sein Bericht über die Anfertigung der griechischen Übersetzung der Bibel, Septuaginta, sowie über die Entste­hungsursache des Oniastempels gegen die Angabe seines Zeitgenossen R. Mair.

b. Geo- und Ethnographisches und Kulturhistorisches. Er kennt Ägypten aus eigener Anschauung, gebraucht den Nil als Bild für eine moralische Be­trachtung, schildert den Glanz und den ungeheuren Umfang der Synagoge in Alexandrien, gibt Auskunft über die Verschiedenheit der Sprache, Sitten u. a. m. der Bewohner Judäas und der von Galiläa, berichtet über die Rosen­gärten in Jerusalem, die Anlegungs­weise der Weinberge, wie man auch Getreide auf dieselben anbaute, ohne gegen das Gesetz der vermischten Gat­ tungen zu verstoßen, erzählt von einer Stadt von nur 50 Einwohnern in Paläs­tina u. a. m.

c. Kulturelles. Hier erstrecken sich seine Nachrichten über die Beschaffen­heit der Tempelhallen, der Priesterge­wänder, der Pressung des heiligen Öls, der Verschiedenheit der palästinensi­schen Münzen von denen der ausländi­schen, des Schekels usw., dass die ers­ten Chassidäer gern Sündopfer dargebracht haben, wie man in der Zeit der hadrianischen Verfolgungs­edikte, mittels Strick zu Laubhütten gekommen, um von den römischen Aufpassern unbehelligt zu bleiben, u. a. m. Ergreifend sind seine Schilde­rungen der Verhältnisse seiner Zeit im Vergleich mit denen früherer Jahre. »Nicht wie die jetzigen Zustände wa­ren die Früheren. In alten Zeiten war das Gesetzesstudium die Hauptsache und die Arbeit um das Weltliche Ne­bensache — siehe, beides gedieh vor­trefflich. Aber in der Gegenwart ma­chen wir die Arbeit um das Weltliche zur Hauptbeschäftigung und die des Gesetzesstudium zur Nebensache, es gelingt uns weder dieses, noch jenes.« Ein ähnliches Bild entwirft er über die Abnahme der Freude an der Gesetzes­vollziehung. »Siehe, welche Verschie­denheit zwischen den früheren Ge­schlechtern und den Gegenwärtigen. Jene suchten die Wege auf, um die ge­ernteten Früchte zehntpflichtig zu ma­chen, aber diese meiden sie nicht nur, sondern suchen noch nach Mitteln, sich der Zehntpflicht zu entledigen. « Geschichtlichen Wert hat seine Dar­stellung der verschiedenen Volksklas­sen und ihres Verhaltens zueinander in seiner Zeit. Anknüpfend an Jesaja 58. I. »Verkünde meinem Volk seine Mis­setat«, das sind die Gelehrten, aus de­ren Irrtum die Freveltaten entstehen, »sage dem Hause Jakobs seine Sün­den«, das ist das Landvolk, am haarez, die Idioten, deren Freveltaten Irrtümer sind. Er macht in diesem Satz die Volkslehrer für den Verfall des religiö­sen Lebens bei dem Landvolk seiner Zeit verantwortlich und mahnt an ei­ner andren Stelle mit Nachdruck: »Sei vorsichtig in der Lehre, denn der Irr­tum des Schülers wächst zur Freveltat empor.. Noch schärfer und eingehen­der haben wir diese Charakterisierung in einer seiner anderen Schilderungen. »Höret das Wort des Herrn, die ihr vor seinem Worte zittert, eure Brüder, eure Hasser, eure Verdammer wegen meines Namens wird der Herr geehrt«, die ihr vor seinem Worte zittert, das sind die Gelehrten (die Schüler der Weisen); eure Brüder, das sind die Schriftkundi­gen; eure Hasser, das sind die Mischna­kenner, eure Verdammer, das ist das Landvolk. Wir haben in diesem Aus­spruche seine entschiedene Abneigung gegen jede Gesetzessammlung als ein zweites Gesetz, die Mischna, er möchte nur die Schrift und deren Deutung als den für den Israeliten gültigen Kodex anerkannt und erhalten wissen. Er ist somit gegen jede feste Fixierung der hergeleiteten und mündlichen Gesetze, was er deutlich in einer dritten Lehre angibt. »Mischna, das ist Midrasch, Schriftforschung. « Wie er dagegen die den Chassidäismus vertretende oder sich ihm zuneigende Richtung ganz an­ders hervorhob, sehen wir in seiner Lehre: »Und es strahle euch die Sonne, die ihr meinen Namen ehrfürchtet», das sind diejenigen, welche sich scheuen den Gottesnamen unnützigerweise aus­zusprechen.« (Nedarim 8.) Den sittli­chen Verfall seiner Zeit geben ferner seine Sätze an: »Man stelle keinen Un­verheirateten als Viehhirt an, zwei Un­verheiratete sollen nicht unter einer Decke schlafen«; ferner: »Die Eselstrei­ber sind meistens Frevler; die Kamel­treiber meistens rechtschaffen; die Schiffer meistens fromm; der Beste der Ärzte verfällt der Hölle und der Bravste unter den Fleischern ist ein Genosse Amaleks« (des Blutbedürftigen). Fra­gen wir nach dem Prinzip seiner hala­chischen Forschungen, das besonders in seinen Gesetzesentscheidungen her­vortritt, so war dies ein vermittelndes, das jedem Extrem bei Chassidäern wie bei der Verstandesrichtung, den Geset­zesgerechten, abhold war und ihm ent­gegentrat. R. Juda war ein Anhänger der Schrifterklärung nach ihrem einfa­chen Wortsinne, nahm sich jedoch gar sehr in Acht, dieselbe als die alleinige Norm seiner Gesetzesforschung zu be­trachten, sie bis in ihr äußerstes Ende auszubeuten. So stoßen wir auf Aus­sprüche von ihm, wo er dem einfachen Wortsinn, sogar der wörtlichen Auffas­sung des Schrifttextes folgt, bald aber auch sich nach dem tieferen Sinne des Gesetzes richtet, bald auch diesen ver­wirft, und zu den Deutungsregeln greift, dass alles, je nachdem er einer extremen Gesetzesfolgerung die Spitze abbrechen will oder sich selbst vor dem Verfall in ein Extrem schützen muss. Deutlich spricht sich dies in dem oft von ihm zitierten Satze aus: »Wer den Schriftvers nach seiner äußeren Gestalt, (buchstäblich) übersetzt, lügt, und wer hinzufügt, verdirbt oder schmäht,« den er gegen den Missbrauch des Extrems beider Richtungen, der wörtlichen Auf­fassung der zaddikisch pharisäischen Richtung und der paraphrasierenden Weise r der Mystiker, der Chassidäer richtet. Es versteht sich, dass er sich da­durch die entschiedensten Gegner her­vorrief. R. Mair, R. Simon, R. Jose, auch R. Nechemia rief ihm gerade zu: »Warum verkümmerst du uns den Schriftvers.« Es versteht sich, dass er zu solchen Herausforderungen nicht schweigen konnte. Gegen R. Mair, als den Vertreter der Verstandesrichtung, der mit seiner haarspaltenden scharfen Dialektik jede gesetzliche Bestimmung in Frage zu stellen, sogar sie aufzuhe­ben im Stande war, wendete er sich nun. Nach seinem Tode drang er da­rauf, den Jüngern R. Mairs den Zutritt zu den Lehrvorträgen oder gar den Eintritt in das Lehrhaus zu verbieten weil diese, wie er vorgab, nicht zu ler­nen, sondern nur zu disputieren und zu zanken die Lehrstätte aufsuchten. Sein Antrag wäre auch durchgegangen, hätte ihn R. Jose nicht vor diesem Schritt gewarnt; er rief ihm zu: »Was wird die Welt urteilen: R. Mair ist tot, Juda ist gallsüchtig und Jose schweigt, welche Zukunft für die Thora! « Von diesen die Mitte zwischen beiden ex­tremen Richtungen haltenden Geset­zesentscheidungen, Halachoth, nennen wir die über das Schemagebet, das wenn dasselbe gesprochen wurde, ohne dass es der Beter selbst hört, man nicht der Pflicht genügt habe; ferner die über die Verurteilung eines abtrünnig ge­wordenen Lehrers, dass derselbe nur auf Übertretung eines Gesetzes verur­teilt werden könne, dessen Grund in der Schrift und dessen nähere Bestim­mung in den Worten der Weisen zu fin­den ist; ferner dass bei der Verehrung der Eltern und des Lehrers in Kollisi­onsfällen dem Lehrer der Vorzug ein­geräumt werden müsse. Sehr erschwe­rend waren seine Halachoth gegen die Vollziehung der Todesstrafe, er hob das Konfiskationsgesetz gegen die Gü­ter des Ermordeten auf und behaup­tete, dass dieselben dessen Erben ge­hörten, behauptete, dass das ganze Königsgesetz in der Schrift nicht in Verwirklichung treten sollte, es sei nur geschrieben, um das Volk in Furcht zu sehen. Die verdiente Würdigung fan­den seine Halachoth erst später, wo sie zu Gesetzen erhoben wurden. Sie er­hielten Gesetzeskraft gegen die des R. Simon und des R. Mair.

II. Agada. Auch in der Agada sehen wir ihn zwischen die beiden extremen Richtungen der Chassidäer und der Anhänger der Verstandesrichtung tre­ten. Sein oben gebrachter Lehrsatz, der sein Programm und sein Prinzip ver­kündet, tritt hier in mehreren Lehren in voller Verwirklichung vor uns. So be­hauptet er gegen seine Vorgänger R. Elieser und R. Josua, dass die in Eze­chiel 17 angegebene Totenauferstehung nur ein Bild für die Wiederauferstehung des jüdischen Volks- und Staatslebens sei. »In Wahrheit, es war nur ein Gleich­nis! « Er stellte die Existenz einer Hölle in Abrede, aber meint, dass aus dem menschlichen Leichnam die Flamme zu seiner Vernichtung komme. In einem anderen Ausspruch setzte er die Vergel­tung in die Empfindung der Seelen­freude über die verübte Tugend und des Schmerzes auf die Freveltat. »In der Zukunft«, lehrte er,» wo Gott die Lei­denschaft auf immer vernichtet haben wird, wird sie den Gerechten wie ein hoher Berg erscheinen.« »Dieser ver­mochten wir zu widerstehen! «, würden sie freudig ausrufen, aber den Frevlern erscheint sie wie ein Haarfaden, welche alsdann gebeugt sprechen: »Nicht diese zu besiegen waren wir stark genug!« Ferner: »Die Buße versöhnt nicht die Sünde der Gottesleugnung und des Götzendienstes, doch der Versöhnungs­tag tut auch dies.« Tieffühlend sind seine Mahnungen zur Tilgung der Ar­mut und Wiederherstellung geordneter Zustände; er rät zur Arbeit, besonders zum Betrieb eines Handwerkes. »Groß ist die Arbeit«, lehrte er gleich seinem großen Meister Akiba, »denn sie ehrt ihren Herrn.« »Wer seinen Sohn kein Handwerk erlernen lässt, hat ihm gleichsam Räubereien angewiesen. « Mit vielem Nachdruck empfiehlt er ge­genseitige Aufhilfe: »Groß ist die Wohl­tätigkeit, sie beschleunigt die Erlö­sung.« Aus der biblischen Exegese gehören hierher seine Angaben, dass die Zehngebote zu zwei gleichen Hälf­ten auf den zwei Tafeln geschrieben waren: »5 auf der einen und 5 auf der anderen«, gegen die Meinung der Ale­xandriner; ferner, dass Moses die letz­ten Verse des Pentateuchs von der Stelle an, wo Moses Tod genannt wird, nicht geschrieben habe; dass ein Unterschied zwischen der Prophetengabe Moses und der übrigen Propheten anzuneh­men sei, etwa: »Moses habe immer wie durch einen Spiegel geschaut, aber die Propheten wie durch mehrere.« Diesen Unterschied will er überall streng be­achtet wissen, sogar in der äußeren Be­handlung der Bücher der heiligen Schrift. Er verbietet das Zusammenbin­den des Pentateuchs mit den anderen Schriften der Bibel in einen Band. Wir sehen darin eine Verwahrung gegen die Annahmen des Alexandrinismus und des Christentums, das diesen Unter­schied nicht so strikt anerkannte. An­dere Lehren von ihm erstrecken sich auf die Diätetik. Wir bringen von den­selben: »Genieße einfache Kost und lebe in Ruhe, aber gewöhne dich nicht an Gänse und Hühner, damit du nicht von dem Verlangen darnach gequält wirst.. Er empfiehlt regelmäßige Wa­schungen an der Stelle aller Augenpflas­ter. Vor den schädlichen Folgen der öf­teren Berührung der Augen, Nase und des Ohrs warnt er mit dem Satze: »Die Hand kann blenden, taub machen, in der Nase Polypen erzeugen.« Aus der Astronomie nennen wir seine Lehre, dass Sonne und Mond nach ihrem Un­sichtbarwerden hinter dem Horizont in den luftleeren Räumen oberhalb sich befinden. In den Tränken der Erde durch den Regen aus den Wolken, die ihre Wasserdünste von der Erde auffan­gen, sieht er das Bild des ägyptischen Nils, der die Erde bewässerte und wie­der von derselben bewässert wird. Die Jahreseinteilung hat nach ihm sechs Jahreszeiten. »Die Monate Tischri (Okt.) und Cheschvan (Nov.) Aussaat; Kislev (Dez.), Tebet (Jan.) Winter; Scha­bat und Adar (Febr. und März) Kälte, kalte Jahreszeit; Nissan und Ijar (April und Mai) Ernte; Sivan und Tamus (Juni und Juli) Sommer; Ab und Elul (August und September) Hitze, heiße Jahreszeit, Hochsommer. « Zuletzt erwähnen wir noch, dass er bei Hagadavorträgen sich der mnemotechnischen Zeichen bedient hatte und dass ihm das Midraschwerk »Sifra« zugeschrieben wird.