Gelehrter - Sopher - Schriftkundiger - Talmid chacham

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Gelehrter, Sopher, Schriftkundiger; Talmid chacham, Schüler des Weisen; chacham, Weiser; Zorba merabbanan, Jünger der Rabbinen; Rabban, Rabbi, und Rabh, Meister, Lehrer. Die Gelehr­ten bildeten im jüdischen Altertume keinen exklusiven Stand im Volke oder im Staate im Sinne des Kastensystems der orientalischen Völker. Das Gesetz verpflichtete jeden Israeliten um Stu­dium und zur Forschung in seinem hei­ligen Schrifttume, somit war der Erwerb von Kenntnissen der Religionswissen­schaft die Sache aller, unabhängig von jedem Geburtsvorzug oder von ande­ren Rangverhältnissen. Das Lehrhaus stand jedem offen, wer eintrat, wurde freundlich aufgenommen und mit be­reitwilliger Zuvorkommenheit unter­richtet. Bestimmte auch das Gesetz die Leviten und die Priester (die Aaroni­den) zu den Gesetzesauslegern, deren Ausspruch allein über streitige Geset­zesauffassungen in Bezug auf die Pra­xis zu entscheiden hatte, so bezog sich dasselbe nur auf die zur Zeit beste­hende Oberbehörde wie das Synhed­rion im zweiten jüdischen Staatsleben, das die Bildung von anderen Gelehr­tenkreisen nicht ausschloss. Im Gegen­teil, waren es die Leviten, die in der Hälfte des ersten jüdischen Staatsle­bens mit der Verbreitung der Gesetzes­kunde unter das Volk von den Königen Josia und Hiskia beauftragt wurden. Neben den Leviten kennt daher die Ge­schichte auch die Propheten und ihre Jünger als Gesetzeskundige, die Auf­schluss über das Gesetz erteilten. Dass die Gelehrten in der letzten Hälfte des jüdischen Staatslebens und nach denselben in Palästina gegenüber dem Landvolke, den Idioten (Am-Haarez), einen besonderen Stand einnahmen, so dass das Volk in zwei Lager geteilt war, die sich oft feindselig begegneten, war eine traurige Tatsache, welche die Ge­lehrten mit Schmerz erfüllte und die auf die freundlichste Weise jeden auf­nahmen, der sich von dem anderen Volksteile ihnen zuwendete. Wir wei­sen auf R. Akiba u. a. m. hin, die im Schoße der Idioten geboren waren und nach ihrem Eintritt in den Gelehrten­stand die berühmtesten Persönlich­keiten geworden. Wir kennen ihren Spruch darüber: »Achtet auf die Söhne der Idioten, der Am-Haarez, denn von ihnen kommt die Lehre.« Es dürfte nicht uninteressant sein, den Gelehr­tenstand im zweiten jüdischen Staatsle­ben und nach demselben bis zum Schluss des Talmud nach den verschie­denen Seiten seiner Stellung, seines Be­rufslebens und seiner Tätigkeit darzu­stellen. Wir unterziehen uns hier dieser Arbeit und beginnen mit:

I. Name und Bedeutung. Die ver­schiedenen oben angegebenen Benen­nungen für »Gelehrter« rühren aus den verschiedenen Zeiten des Gelehrten­standes im Judentume her und deuten zugleich die Geschichte desselben an. Der erste älteste Name ist: Sopher, Schriftkundiger, eine Bezeichnung, die schon in den letzten biblischen Schriften vorkommt, und dem Esra, dem ersten Schrifterklärer als Epithe­ton beigelegt wird. In ihm fallen noch die beiden Tätigkeiten, die Anfertigung von Schriftstücken und die Erklärung der Schrift, diese ursprünglichen Be­rufszweige der Gelehrten, zusammen, was an den Anfang ihrer Entstehung erinnert. Neben ihm kommt in densel­ben Büchern ein Zweiter, schon Be­stimmterer vor. Der Gelehrte heißt: Mebin, Dolmetscher, Erklärer, pl. Me­binim, Erklärer, der von dessen Tätig­keit als Schrift- und Gesetzeserklärer, der dem Volke das öffentlich vorgele­sene Schriftstück erklärte, herrührte. Ein Dritter ist: Saken, Alter, pl. Seke­nim, Alte, mit der unterschiedlichen Bezeichnung, Alten, eine Benennung, die sich auf die Nachfolger der Sophe­rim und die Mitglieder des Synhedrion in der nachmakkabäischen Zeit be­zieht. Die Vierte: Chacham, Weiser, pl. Chachamim, Weise. Chacham, Weiser, war ursprünglich die Ehrennennung des Berichterstatters im Synhedrion; es ist möglich, dass diese Bezeichnung später auf jeden Gelehrten übertragen wurde. Zum Unterschiede zu den Ge­lehrten anderer Na-tionen nannte man die jüdischen: Chachme Israel, Weise Israels. Die Fünfte: Talmid chacham, Schüler des Weisen, pl. Talmide chacha­mim, Schüler der Weisen. Es war dies die in den Jahrhunderten nach der Auf­lösung des jüdischen Staates übliche bescheidene Bezeichnung des Ge­lehrten. Die Sechste: Rabban, Rabbi, Rabh, Meister, Lehrer, Gesetzeslehrer oder Gesetzeskundiger, pl. Rabbanan, Gelehrte, Namen, von denen ersterer vor der Zerstörung des Tempels dem R. Gamliel I. beigelegt wurde. Allgemei­ner war in den Jahrhunderten nachher der Zweite: Rabbi, dagegen kam letzte­rer seltener vor, meist nur eine Ehren­nennung der Schulhäupter in Babylo­nien. Sonst waren auch die Benen­nungen: Zorba merabbanan, Jünger der Rabbinen und Hahu merabbanan, einer von den Gelehrten, bestimmter: Chaber, Genosse oder Chad mechab­raia, einer von der Genossenschaft u. a. m. üblich.

II. Gesetze, Bedingungen, Eigen­schaften, Kenntnisse, Klassen, Klei­dung, Wohnen, Sitten und Führung. Die Gelehrten bildeten, wie wir oben schon bemerkten, keinen exklusiven Stand, keine geschlossene Gesellschaft, hatten nicht einmal einen engeren Ver­band unter sich, doch waren es gewisse Sitten und Lebensnormen, die sie ne­ben ihrer Schrift- und Gesetzeskunde von dem gewöhnlichen Mann kennt­lich machten und die sie sich aneignen mussten, um als Gelehrte anerkannt und gewürdigt zu werden.

a. Ihre äußerliche Erscheinung. Von denselben nennen wir die Bestimmun­gen: I. über die Kleidung, Wohnung und äußeren Anstand. Wir bringen darüber den Ausspruch einer alten Bo­raitha, welche die Grundlage späterer Erörterungen dieses Gegenstandes ge­worden. Dieselbe lautet: »Sechs Ge­genstände sind des Gelehrten unwür­dig: er gehe nicht parfümiert auf öffentliche Plätze, erscheine nicht in Nachts, unterhalte keine öftere Unter­redung mit Frauen auf öffentlicher Straße, sei nicht der Letzte von denen, die das Lehrhaus betreten, verweile nicht in den Kreisen der Unwissenden.« »Bei seinem Gange,« fügen noch an­dere hinzu, »sollen seine Schritte nicht zu groß und seine Körperrichtung nicht zu steif sein.« Viel Gewicht wird auf die Wahl und die Reinhaltung der Klei­dung, der Möbel und des Wohnortes gelegt. Ein Lehrer des 3. Jahrh. n. hat darüber die Mahnung: »Der Gelehrte, an dessen Gewand ein Flecken gefun­den wird, verdient den Tod.« Ein an­derer Ausspruch von ihm lautet: »Der Gelehrte kennzeichnet sich auch da­durch, dass er sein Untergewand, stets richtig umwendet, d. h. es auf der rechten Seite trägt.« Dasselbe soll auch seiner Länge nach den ganzen Körper bedecken. Dagegen kann das Obergewand um eine Handbreit kür­zer als das Untergewand sein. Auch die Möbelstücke des Gelehrten sind von denen des gewöhnlichen Mannes kennbar. Sein Tisch ist zu zwei Drittel mit einer Tischdecke belegt und nur ein Drittel desselben bleibt unbedeckt, als der Platz für das Geschirr. Unter seinem Bette stehen im Sommer nur die Sandalen, im Winter die Schuhe, nicht wie bei dem Am-Haarez, bei dem unter dem Bett alles durcheinander geworfen wird. Der Ort oder die Stadt, die der Gelehrte zu seinem bleibenden Auf­enthalt wählt, darf der zehn Gegen­stände nicht ermangeln: eines Gerichtes mit der Befugnis zur Verhängung von Strafen; einer Almosenbüchse mit ordnungsgemäßen Almosenvorste­hern, zwei zum Einsammeln und drei zum Verteilen, einer Synagoge, eines Badehauses, eines Arztes, eines Chi­rurgen, eines Schreibers, eines Kin­derlehrers, des Wassers und verschie­dener Fruchtgattungen. Eine andere Lehre lautet: »Eine Stadt die kein Gar­tengemüse hat, in der soll kein Gelehr­ter wohnen.« Eine Wohnung, heißt es ferner, sei nicht in der Nachbarschaft eines Idioten, Am-Haarez.

b. Kenntnisse, Fähigkeiten und an­dere Eigenschaften. Nach den uns er­haltenen talmudischen Notizen waren die Forderungen, die man an den Ge­lehrten stellte, je nach den Zeiten ver­schieden. Ein Ausspruch verlangt von ihm Belesenheit in den 24 Büchern der heiligen Schrift. Ein anderer will, dass er Kenntnisse der heiligen Schrift, der Mischna, des Talmud und der Hagada besitze. Ein Dritter setzt bei ihm so die Kenntnisse der Halacha voraus, dass er über jede halachische Frage Aufschluss zu geben vermag. In Bezug auf seine praktische Verwendung verlangte man von ihm, dass er kundig des Schätzens, der Beschneidung des Schreibens u. a. m. sei. Man unterschied daher ver­schiedene Klassen von Gelehrten: 1. Schriftkundige oder Schriftgelehrte; 2. Mischnakenner; 3. Talmudisten; 4. Agadisten; u. a.m. Nach ihren Ämtern und praktischen Leistungen kennt man sie als: Richter, Prediger, Kinderlehrer, Vorbeter und Schreiber. Diese Wissens­fächer mit den mit ihnen in Verbindung stehenden Wirkungskreisen des Gelehr­ten sollten noch durch dessen Lebens­weise und schöne Eigenschaften geho­ben werden. Die erste und vorzüglichste Eigenschaft soll die Aufrichtigkeit sein. »Ein Gelehrter«, heißt es, »dessen In­neres nicht wie das Äußere ist, ist kein Gelehrter.« In einem anderen Satz wird ein solcher Gelehrter geradezu ein Gräuel genannt. Ein Dritter endlich wendet darauf in allegorischer Deu­tung den Schriftvers an: »Von innen und außen sollst du ihn (den Kasten, die Bundeslade) belegen«, d. h. des Ge­lehrten Inneres muss dessen Äußerem entsprechen. Nächst der Aufrichtigkeit ist Religion, Gottesfurcht, in Verbin­dung mit der Wissenschaft eine unab­weisbare Bedingung für den Gelehrten. R. Jochanan ben Sakai, der Hauptträ­ger der jüdischen Wissenschaft im 1. Jahrh. nach der Zerstörung nennt in einer Lehre den Weisen einen geschick­ten Meister, hält aber die Gottesfurcht für ein Werkzeug, das ihm immer bei­steht. Ein späterer Lehrer aus dem 4. Jahrh. n. (Rabba bar Rab Huna) ver­gleicht den Gelehrten ohne Gottes­furcht mit einem Schatzmeister, dem die Schlüssel zu den inneren Gemä­chern, aber nicht zu den äußeren über­geben wurden. Nach anderen ist die Religion das Gefäß oder die Beschütze­rin der Wissenschaft. R. Chanina ben Dosa im z. Jahrh. n. lehrt: »Überall, wo die Religion (wörtlich: die Sündenscheu) der Weisheit vorausgeht, ist die Weisheit von Bestand, aber wo die Weisheit erst und die Religion später erworben wurde, hat die Weisheit keine Dauer.« Das Dritte, das den Ge­lehrten auszeichnen soll, ist die Tat, die Werke als Beweise seiner Lehren. Die Mahnungen darüber von den Lehrern des z. Jahrh. n. lauten, von R. Chanina ben Dosa: »Jeder Gelehrte, dessen Tat größer als die Weisheit ist, dessen Weis­heit bleibt, aber wer mehr Weisheit hat als Werke besitzt, dessen Weisheit hat keine Dauer.« Ein anderer, R. Elasar b. A., vergleicht in einer Lehre den Ge­lehrten mit wenig Weisheit und vielen Taten mit einem Baum, der zwar arm an Ästen, aber desto reicher an Wur­zeln da steht, so dass ihn kein Sturm zu entwurzeln vermag. Das Vierte endlich ist die Energie und Beharrlichkeit in der Durchführung getroffener Einrich­tungen. »Jeder Gelehrte, der nicht so hart (unbiegsam) wie Eisen bleibt, ist kein Gelehrter. « Im Übrigen erwartete man von dem Gelehrten Bescheiden­heit, freundliches Zuvorkommen und Sanftmut im Betragen gegen andere. Eine der ältesten Boraithas hatte die Lehre darüber: »Und du sollst den Ewigen, deinen Gott lieben«, d. h. ma­che, dass der Name Gottes durch dich geliebt werde. Der Mensch eigne sich Gelehrsamkeit an, bediene die Gelehr­ten, rede in Sanftmut mit den Leuten, verkehre geziemend auf dem Markt, handle rechtschaffen mit den Men­schen, so dass diese sprechen: »Heil dem, der Thora gelernt, heil seinem Vater, der ihn unterrichten ließ, heil seinem Lehrer, der ihn so die Thora ge­lehrt und wehe den Leuten, die keine Thora gelernt! Sehet diesen da, der Thora gelernt, wie schön sind seine Wege, wie richtig seine Werke!« Er be­wahrheitet den Ausspruch: »Israel, du bist mein Diener, dessen ich mich rühme.« Als Muster dafür werden zwei Gesetzeslehrer aufgestellt, der eine, Jochanan ben Sakai aus dem z. Jahrh. n. und der andere Abaji aus der Mitte des 4. Jahrh. n. Von ersterem wird er­zählt, dass ihm keiner, auch nicht ein Heide, mit dem Gruß zuvorzukommen vermochte, immer grüßte er erst. Letz­terer hatte zum Spruch: »Immer sei der Mensch klug in der Gottesfurcht, sanft im Antworten, zurückhaltend im Zorne; friedlich sei seine Rede mit sei­nen Brüdern, Verwandten ja mit jedem Menschen, auch mit den Heiden, da­mit er oben geliebt, unten angenehm und wohlgelitten bei den Leuten werde.« Speziell wird angegeben, dass er nicht behaupte, die Gelehrsamkeit sei sein alleiniges Erbe; er überhebe sich nicht über die Gemeinde, nenne keinen auf entehrende Weise u. a. m. Andere Bestimmungen sprechen von der eigenen Lebensweise des Gelehrten. Obenan bringen wir den oft erwähnten Satz: »Der Gelehrte lebe zurückgezo­gen wie eine Braut, aber werde desto bekannter durch seine Werke.« »Er sei von den Ersten und Letzten in den Lehr- und Bethäusern, nehme an keinem öffentlichen Mahle teil, das nicht zur Erfüllung eines Gottesgebotes ver­anstaltet wird, soll sich jedoch durch kein Fasten schwächen.« Tief beklagte man den Gelehrten, der seinem Berufe untreu geworden und eine andere, ge­setzeswidrige Lebensweise angenom­men. »Wie ein Vogel sein Nest ver­lässt;« »Ein Fehler, der nie wieder gut zu machen ist.« Das ist der Gelehrte, der sich von der Thora getrennt hat. Dagegen hatte man mit dem Mitleid, der seine erworbenen Kenntnisse in Folge verschiedener Geschicke verges­sen hatte. »Habet Acht auf den Alten, der seine Gelehrsamkeit vergessen; auch die von Moses zerbrochenen Ge­setzestafeln lagen neben den ganzen Gesetzestafeln in der Bundeslade.« Ei­nen gewissen Groll hatte man gegen zwei Klassen von Gelehrten: gegen die Unreifen, die für reif gelten wollten, sowie gegen die Reifen, die ihr Wissen nicht anderen mitteilten. »Viele hat sie erschlagen hingestürzt«, das sind die Gelehrten, die keine Reife für Geset­zesentscheidungen haben und dennoch Entscheidungen treffen. »Groß ist die Zahl ihrer Getöteten«, das sind die Ge­lehrten, welche die Reife erlangt haben, aber nicht lehren.

III. Ihr Unterhalt. Die Gelehrten, wenn sie auch öffentliche Ämter be­kleideten, bezogen keine Gehälter, sie wiesen jeden Lohn von sich und ver­schafften sich ihren Unterhalt durch verschiedene Arbeiten. Sie hielten es als Herabwürdigung und Entweihung der Gelehrsamkeit, sie als ein Gewerbe zu betrachten, um ihren Lebensunter­halt zu begründen. Die öfteren Aus­sprüche darüber waren: »Wer sich der Krone bedient, kommt um«; »Und keine Grabscheide (sei sie), um mit ihr zu graben«; »Liebe die Arbeit und hasse die Herrschaft;« » Jede Thora, mit der keine Arbeit verbunden ist, hat keinen Bestand und führt zur Sünde«; »Siehe, das Leben mit dem Weibe, das du liebst«, d. h. bekümmere dich um ein Gewerbe neben der Thora, die du liebst — war die Mahnung des Patri­archen R. Juda I.. Bekannt ist ferner die Differenz in der Lösung des schein­baren Widerspruchs zwischen Josua 1. 8. dem Gebot, in der Thora (Lehre) Tag und Nacht zu forschen und 5. M. 11. 14, wo der Landbau ebenfalls den Israeliten befohlen wird — unter den Lehrern des 2. Jahrh. n., von denen R. Isamel die Entscheidung traf, dass man dem Gesetzesstudium nur nach voll­brachter Arbeit auf dem Felde obzulie­gen habe, dagegen R. Simon ben Jochai die Feldarbeit durch andere verrichtet wissen wollte. Es war natürlich, dass nur die Meinung des ersteren durch­drang und allgemein normativ wurde. Die Lehrer in Babylonien hielten an solchen Arbeitswochen keine Vorträge für ihre Jünger und ermahnten, sich der Arbeit wieder zuzuwenden, damit sie dann später nicht von Nahrungs­sorgen geplagt werden. Die Unterhalts­quellen der Gelehrten waren: 1. Die Arbeit des gewöhnlichen Tagelöhners; 2. der Betrieb eines Handwerks; 3. der Landbau und endlich 4. der Handel. So verrichtete der berühmte Lehrer Hillel I. in erster Zeit nur die Arbeit des Tagelöhners, er war Holzbauer und erwarb sich dadurch seinen Bedarf. So sah man oft die bedeutendsten Männer Lasten tragen, sie riefen dabei den sich darüber Wundernden zu: »Groß ist die Arbeit, sie ehrt ihren Herrn! « R. Akiba mahnte oft seine Jünger: »Verrichte jede Arbeit, ziehe auch dem Aase auf der Straße das Fell ab und sprich nicht: »Ich bin ja ein Priester!« Die meisten Gesetzeslehrer in den 5 Jahrhunderten nach der Auflösung des jüdischen Staa­tes hatten ein Handwerk zu ihrem Un­terhalt. Es dürfte nicht uninteressant erscheinen, eine Aufzählung der Ge­lehrten mit ihren verschiedenen Hand­werken folgen zu lassen. Aus dem 1. und 2. Jahrh. n. waren: R. Josua ben Chananja ein Nadler, R. Inda ben Ilai ein Böttcher, ein anderer Juda ein Bä­cker, ein Dritter ein Parfümeur, und ein Vierter endlich ein Schneider. Ferner kennt man: einen Arzt Theodosius, Abba, einen Chirurg, einen Totengrä­ber Abba Schaul, einen Grützmacher Josua Hagarsi, einen Schreiber R. Mair, einen Lederarbeiter Chanina, einen Ei­senschmied R. Jizchak Naphcha, einen Töpfer R. Nechemia Hakador u. a. m. Von den Gelehrten des 3. und 4. Jahr­hunderts n. waren Handwerker: R. Chanina und R. Dschaja Schuster; R. Pinchas Steinmetz, Abba Joseph ein Baumeister, Adda ein Feldmesser, Ghana ein Wechsler, Jochanan ein San­dalenarbeiter, ein zweiter Adda ein Fi­scher, wieder ein Jose ein Fischer, u. a. m.

IV. Aufgabe, Beruf, Stellung, Tätig­keit, Einfluss und Anerkennung. Der gelehrte Stand, als die Intelligenz, bil­dete auch bei den Juden die Lebens­kraft des Volkes. Unabhängig von je­dem Geburtsstand bestand er aus den Söhnen der verschiedenen Volksschich­ten; er zählte zu seinen Gliedern die Söhne der Vornehmen sowie die der ärmsten Volksklassen, und so war es ihm möglich, mit seiner Tätigkeit das ganze jüdische Volk in allen seinen Tei­len, dessen ganzen Lebensorganismus, zu durchdringen. Es war daher ihm al­lein das vorbehalten, was keiner von den religiösen Institutionen, weder dem Priestertume, noch dem Leviten-stand zuteil geworden, der weitere Ausbau des Judentums, seine Rettung und Erhaltung in den Stürmen der von allen Seiten sich gegen dasselbe erhe­benden Verfolgungen. Nichtjüdische Schriften aus den ersten Jahrhunderten nach sprechen von dem Gelehrtenstand als von einer gesetzlich bestehenden Autorität, den Anhängern der Tradi­tion, die bei dem Volke in großer Ach­tung standen. Die Geschichte des Ju­dentums hat seine Tätigkeit nach seiner segensreichen Entfaltung sorgfältig verzeichnet. Die Gelehrten hatten zu ihrer Aufgabe: a. die religiöse Beleh­rung des Volkes; b. die Regelung der religiösen Praxis nach dem schriftli­ chen und mündlichen Gesetze; c. die Ausübung richterlicher Funktionen als Glieder des Synhedrions oder eines Richterkollegiums; d. die Leitung, auch Abhaltung des Gottesdienstes; e. die Errichtung von Kinderschulen und den Unterricht in denselben; f. das Stu­dium, die Auslegung und weiteren Ausbau des Gesetzes sowie dessen Ver­breitung durch Vorträge für Erwach­sene; g. die Sammlung und Ordnung und Aufzeichnung der Lehren und Gesetzesauslegungen in der nachbib­lischen Zeit bis zum Schluss des Tal­muds; h. die Anfertigung von Ab­schriften der biblischen Bücher sowie die Feststellung und Bewahrung deren richtigen Textes und seiner abwei­chenden Lesearten u. a. m. Indem wir über ihre Leistungen in diesen verschie­denen Fächern auf die betreffenden Ar­tikel verweisen, bringen wir hier nur noch die Aussprüche über die Würdi­gung dieser, ihrer Gesamttätigkeit. »Die Gelehrten werden Bauleute ge­nannt, denn ihre Tätigkeit ist der Auf­bau der Welt.« »Ein Gelehrter im Orte, jede Angelegenheit des Ortes liegt auf ihm.« »Überall wird geräuchert und in meinem Namen dargebracht.« Das sind die Gelehrte, die sich mit Studium und der Verbreitung der Lehre, Thora beschäftigen.

V. Weitere Anerkennung, Begünsti­gung und Geschichte. Die Anerken­nung solcher Hingebung des Gelehrten für die heilige Sache des Judentums konnte nicht ausbleiben. Fast zu jeder Zeit erhoben sich Stimmen für die Hochachtung und Begünstigung des­selben. R. Akiba (im 1. Jahrh. n.) tut den großen Ausspruch: »Den Ewigen deinen Gott sollst du ehrfürchten, auch den Gelehrten.« Ihm folgt R. Jose der Galliläer ( im Anfange des. 2. Jahrh. n.) mit der Mahnung: »Hochachte das Ansehen des Alten«, der Alte, dessen Verehrung hier geboten wird, ist der Mann, der Weisheit erworben. Man machte das Volk auf die drückende Lage und die Entbehrungen des Ge­lehrten aufmerksam und suchte mög­lichst zu helfen. R. Akiba erhielt von seinem Kollegen R. Tarphon eine Summe Geldes, um Ländereien anzu­kaufen, von deren Ertrage beide sor­genlos leben und ihren Studien oblie­gen sollten. Aber R. Akiba nahm das Geld und verteilte es an arme Gelehrte. Nach einiger Zeit sucht R. Tarphon Akiba auf und fragte ihn nach den ge­kauften Ländereien. Dieser zeigt ihm mehrere Gelehrte, die sich in ihre Stu­dien vertieften und sprach: »Das sind deine Ländereien!« R. Tarphon in der Meinung, er habe die Ländereien wie­der an diese verkauft, fragt erstaunt: »Welche Bürgschaft, für die Sicherheit deines Verkaufes? « »Hier ist sie!«, ent­gegnete jener in dem Psalmvers: »Al­mosen gab er den Dürftigen, sein Wohltun bleibt ewig.« Die Verarmung in Folge der jüdischen Kriege, die nach der verunglückten barkochbaischen Erhebung ihren Gipfelpunkt erreichte, machte sich bei dem Gelehrtenstand im 2. Jahrh. n. besonders fühlbar, wes­halb er jetzt mehr als jemals zuvor auf die Hilfe anderer angewiesen war. Die Abschiedsreden der nach der bar­kobaischen Erhebung zu einer Syn­hedrialsitzung in Uscha sich eingefun­denen Gesetzeslehrer sind von solchen Empfehlungen der Wohltätigkeit. Die Hauptredner daselbst, die das Wort dafür ergriffen, waren: R. Juda, R. Jose, R. Elieser b. R. Jose, R. Neche­mia u. a. m. Der Gelehrte, der jetzt nach der Vernichtung des Opferdienstes den Priesterdienst am Altar der Lehre ver­richtete, wurde nun als der eigentliche Priester betrachtet, an den man die Spenden für den Altar abzugeben habe. »Auch ein Mischling (Mamser, d.i. ein in Blutschande Gezeugter), wenn er ein Gelehrter ist, soll dem Aaroniden, dem Priester von Geburt, so dieser ein Am­Haarez ist, vorgezogen werden«, war eine allgemein angenommene Lehre. R. Elieser ben Jakob lehrt ausdrücklich: »Wer einen Gelehrten gastfreundlich in seinem Haus aufnimmt, ihn von seinen Gütern genießen lässt, dem wird es an­gerechnet, als wenn er die beständigen Opfer dargebracht hätte.« Ein anderer lehrt: »Wer Wein auf den Altar als Trankopfer bringen will, spende ihn den Gelehrten.« Ein Dritter endlich mahnt: »Betrübte Arme bringe in dein Haus«, das sind die Gelehrten, die über Erlaubtes und Verbotenes entscheiden, uns lehren den Willen unseres Vaters im Himmel zu vollziehen. Die Lehrer des 3. Jahrh. n. beschäftigen sich mehr mit den Bestimmungen zur Regelung der inneren Verhältnisse der Gelehrten. Es müssen in Folge der Missgeschicke der Zeiten gewaltige Zerrüttungen im Schoße des Gelehrtenstandes vorge­gangen sein. Man beklagt den mutwil­ligen Abfall von den Gesetzesstudien, die Vergessenheit der Studien bei den Gelehrten, die Vordringlichkeit der Unreifen bei Diskussionen und völlige Vernichtung des einheitlichen Zusam­menlebens. Wir haben bereits oben darüber ihre Aussprüche gebracht und bringen hierzu als Ergänzung die Mah­nung des R. Elasar: »Zwei Gelehrte, die sich gegenseitig in Diskussionen schärfen, Gott lässt es ihnen glücken.« Von R. Simon b. L.: »Zwei Gelehrte, die in Halachastudien sich gegenseitig zuvorkommen, Gott merkt auf sie.« Ein Älterer, R. Jose b. Ch. spricht gera­dezu den Fluch über die Gelehrten aus, die gesondert und allein ihren Studien obliegen wollen. Andererseits erinnert R. Simon b. L., dass zu dem Wissen auch Gottesfurcht gehöre, eine Mah­nung, die schon (siehe oben) R. Jocha­nan b. S. seinen Zeitgenossen gepredigt hat. Auch die Hochachtung des Leh­rers und die Grenzen zwischen diesem und seinen Schülern werden festgesetzt. Von R. Jochanan ist der Ausspruch: »Wer Entscheidungen in Gegenwart seines Lehrers trifft, ohne zuvor seine Meinung zu hören, hat den Tod ver­schuldet.« R. Simon b. L. lehrt: »Wer einen Unwürdigen zum Richter ein­setzt, hat gleichsam einen Hain neben den Gottesaltar gepflanzt.« Diese Zer­rüttung nach innen scheint den Gelehr­ten in der Achtung nach außen sehr geschadet zu haben. Wir merken in den Lehren der Männer dieser Zeit gewal­tige Anstrengungen zur Wiedererrin­gung dieser Achtung bei dem Volke. R. Jochanan sagt ausdrücklich: »Wer den Gelehrten gering schätzt, ist ein Epi­kuräer, ein Gottloser.« Ein anderer Rabh: »Wer den Gelehrten verachtet, kann diese Sünde nicht mehr gut ma­chen«; ferner: » Jerusalem ist zerstört worden, weil sie den Gelehrten verach­tet haben.« Besser gestalten sich ihre Verhältnisse im 4. Jahrh. n. Ein be­trächtlicher Teil von Bestimmungen sind zu seinen Gunsten getroffen wor­den. Der Gelehrte ist befreit von jeder Steuer und jeder öffentlichen Arbeit. Von Rab Juda ist die Anordnung: »Die Gelehrten ziehen nicht mit dem Volke aus, um die Graben und Wege in Ord­nung zu setzen, damit sie nicht in den Augen des Volkes an Achtung einbü­ßen.« Aus demselben Grunde sind sie frei von dem Wachdienst bei angeleg­ten Festungen. Bei Gericht soll die Sa­che des Gelehrten erst zur Verhandlung kommen. Wenn Gelehrte Waren zu Markt bringen, dürfen die anderen nicht früher von ihren Waren verkau­fen, als bis erstere die ihrigen verkauft haben. Raba erlaubt es den Gelehrten, sich als Gelehrte anzumelden, um der Begünstigung derselben teilhaftig zu werden. In solchen Verhältnissen war es natürlich, dass viele Unlauterkeiten vorkamen, sich viele nur äußerlich dem Gelehrtenstande zuwendeten. Wir hö­ren daher die Mahnungen der bedeu­tendsten Schuloberhäupter Raba und Abaji: »Der Gelehrte, dessen Äußeres nicht seinem Inneren entspricht, gehört nicht dem Gelehrtenstande an.« War der Ausspruch des ersteren, wozu der andere hinzufügt: »Ein solcher Mann ist ein Gräuel.« Günstiger spricht sich darüber Rab Juda aus: »Immerhin be­schäftige sich der Mensch mit der Thora, wenn auch in anderer Absicht, denn zuletzt gelangt er doch zu lauterer Gesinnung; seine Beschäftigung mit der Lehre geschieht dann aus Liebe.«