Elisa ben Abuja - später Acher

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Elisa ben Abuja, später Acher. Gesetzeslehrer im 1. Jahrh. n., der vor der Zerstörung des Tempels geboren wurde und noch nach der Besiegung des barkochbaischen Aufstandes zur Zeit der Lehrtätigkeit des R. Mair lebte. Er war der Sohn reicher Eltern und widmete sich früh auf den Wunsch des Vaters dem Gesetzesstudium, worin er es zu nicht geringer Bedeutsamkeit brachte. Seine Kollegen waren die großen Gesetzes- und Volkslehrer: R. Akiba, Ben Asai, Ben Soma u. a. m. Aber sein geweckter Geist fand bald an den National-Gesetzesstudien kein Ge­nüge, er trat aus deren Sphären und wählte das Studium des Griechischen, wie es damals bei den Hellenisten in Palästina und bei den Juden Alexandri­ens in Ägypten gepflegt wurde, zu sei­ner Beschäftigung. »Die Bücher des Homer und die Schriften der Sektierer: Minin, sah man, erzählten Spätere, aus seinem Schoße auf die Erde fallen.« Dieses Bekanntwerden mit einer ganz anderen Welt von neuen Ansichten und Anschauungen wirkte mächtig auf ihn ein; sein naiver, gesetzestreuer Geist ward erschüttert. »Vier, heißt es, dran­gen in das Paradies ein, d. h. vertieften sich in theosophische Fragen, Ben Asai, Ben Soma, Eliesa ben Abuja und R. Akiba. Ersterer schaute und starb, der Zweite schaute und wurde irre, der Dritte, Elisa ben Abuja, schnitt in die Pflanzungen ein, nur der Vierte, R. Akiba, zog in Frieden ein und aus.« Dieses Einschneiden in die Pflanzungen unseres Eliesa ben Abuja in diesem Be­richt wird von den Späteren als Aus­druck der großen Zerstörungen, die er darauf im Judentum anrichtete, erklärt. Nach denselben begnügte er sich nicht gleich den anderen mit, diesem Gesin­nungswechsel für sich allein, sondern ging auf die Vernichtung der alten Reli­gion bei seinen jüdischen Zeitgenossen los. Aus dem frommen Gesetzeslehrer wurde ein eifriger Gesetzeszerstörer; er, der früher an dem Aufbau des Juden­tums gearbeitet, hatte jetzt nichts anderes als dessen Niederreißen im Sinne. So schwindet sein sonst klangvoller Name, die Geschichte kennt ihn nur noch nach der Bezeichnung, die ihm seine letzten Taten gegeben, er heißt: »Acher«, »Anderer«. Die hadriani­schen Verfolgungsedikte, die auf die Vernichtung des letzten Restes der frü­heren Nationalgröße der Juden, der Religion, ausgingen, bedurften zu ihrer Verwirklichung der jüdischen Helfers­helfer, und als solches, elendes Werk­zeug zur Vernichtung der geistigen Güter des Judentums, des letzten Ver­bandes der Juden untereinander, schil­dern ihn nun die jüdischen Quellen. Er ging in die Lehr- und Studierhäuser und rief den Jüngeren des Gesetzes zu: »Wozu hier euer müßiges Verweilen, werdet Bauleute, Zimmermeister, Jä­ger, Schneider u. s. w.!« So macht er, heißt es, viele dem Gesetzesstudium abtrünnig. Eines der hadrianischen Edikte belegte die Feier des Shabbaths mit der Todesstrafe. Die Römer zwan­gen die Juden zur Arbeit am Shabbath. Um ihr Gewissen zu beruhigen, suchten die Gedrückten bei der Verrichtung der Shabbatharbeiten manche Gesetzes­umgehungen, wodurch die Verletzung des Shabbaths geringer wurde. Acher machte die römische Behörde auf die­sen Ausweg der Juden aufmerksam und den Armen wurde auch diese Aus­hilfe verboten. Musste z. B. jemand eine Last am Shabbath tragen, so ließ er sich von einem andern helfen, die Arbeit war geteilt und die Shabbathverletzung dadurch geringer. Als Grund seines Abfalls wird der Widerspruch der biblischen Vergeltungslehren mit den täglichen Lebenserscheinungen an­gegeben. Im Tale Ginnesar war er Zeuge eines Ereignisses, das mit der göttlichen Verheißung der Bibel in auf­fallendem Widerspruch stand. Das Ge­setz befiehlt beim Auffinden und Aus­leeren eines Vogelnestes die Mutter zu entlassen und verheißt dafür: »Damit es dir wohl gehe und du lange lebest.« Aber er sah einen Mann auf den Wip­fel einer Dattelpalme steigen, daselbst gesetzwidrig aus einem Vogelneste die Mutter mit ihren Jungen an sich neh­men und wohlbehalten herabkommen. Ein anderes Mal kam er dazu, als eben­falls ein Mann den Wipfel einer Dattel­palme erstieg, wo er ganz nach Vor­schrift aus einem Neste die Jungen sich nahm und die Mutter entließ, und doch beim Herabsteigen von einer Schlange gebissen wurde und starb. Dies machte einen solch tiefen Eindruck auf ihn, dass er ausrief: »Warum der Tod dieses und das lange Leben jenes Mannes? « Nach anderen Berichten soll ihn das schreckliche Ende des frommen R. Gamliel oder des R. Juda Hanechtam, die den Märtyrertod starben, an dem Glaube der göttlichen Vorsehung und Vergeltung irre gemacht haben. Ob er vom Judentum ganz abfiel, oder nur gegen die Gesetzesbeschränkungen im Judentum war, ist ungewiss. Doch scheint aus dem Ganzen hervorzuge­hen, dass ersteres nicht der Fall war, er blieb ferner im Judentum. Seine Ver­bindung mit der römischen Behörde zur Vollziehung der hadrianischen Ver­folgungsedikte gegen das Judentum hat vielleicht mit der Vereinigung der Grie­chenfreunde zur Unterstützung und Durchführung der Befehle der Syrer­herrschaft über Palästina in der vorm­akkabäischen Zeit, die eine Verschmel­zung des Judentums mit dem Grie­chentum zum Ziele hatten, einige Ähnlichkeit. Erst nach den Stürmen des verunglückten barkochbaischen Aufstandes, als auch die römischen Be­hörden des Mordens und Zerstörens genug hatten, und ein freundlicher Tag endlich wieder dem Reste der Geset­zestreuen in Israel aufzugehen begann, sehen wir auch unseren Eliesa ben Ab­uja im Umgange mit seinem ehema­ligen Schüler, dem Gesetzeslehrer R. Mair, wieder. Die alte Liebe für seine Jugendstudien war in ihm erwacht. Er tritt zwar nicht mehr als Gesetzeslehrer auf, hält auch keine Volksvorträge, er­scheint sogar noch als Gesetzesübertre­ter, am Shabbath reitend auf einem Rosse vor dem Lehrhause R. Mairs in Tiberias, aber in seinen Gesprächen mit diesem, seinem geliebten Schüler zitiert er Lehren von R. Akiba mit ei­ner Verehrung, die auf eine nicht ge­ringe Sinnesänderung schließen lässt. Wir sehen ein intimes Verhältnis zwi­schen Lehrer und Schüler, das bei dem Beharren des ersteren in seiner alten feindlichen Stellung gegen das Juden­tum unmöglich gewesen wäre. Eliesa ben Abuja sucht immer wieder seinen Schüler auf, erscheint sogar vor seinem Lehrhause, und der Schüler R. Mair hängt mit wahrer Ergebung an ihm, wird nicht müde in seinen Bekehrungs­versuchen für ihn und gibt die Hoff­nung nicht auf, seinen Lehrer als einen Bußfertigen in seine Arme zu schließen. R. Mair hält in seinem Lehrhause zu Tiberias am Shabbath einen Vortrag, da wird ihm die Ankunft seines Leh­rers Eliesa ben Abu-ja gemeldet. Sofort beendet er seine Rede und eilt zu ihm hinauf. Beide vertiefen sich bald in Ge­spräche und R. Mair teilte ihm den In­halt seines Vortrages mit. »Ich erklärte die Worte in Hiob 42.. 12. >Gott seg­nete am Ende (zuletzt) Hiob mehr als am Anfange,< Gott verdoppelte sein Vermögen.« Da entgegnete Eliesa b. A.: »Dein Lehrer Akiba hat diesen Vers nicht so ausgelegt, nach ihm ist sein In­halt: >Gott segnete zuletzt den Hiob wegen seiner Tugenden früherer Zeit, die ihm vom Anfange noch geblie­ben.«< Bald sagte er ihm auch den wei­teren Inhalt seines Vortrags, wie er den Vers: »Besser ist das Ende der Sache als ihr Anfang«, erklärte. »Wenn ein Mann Kinder hat in der ersten Zeit sei­ner Ehe, welche sterben, aber im Alter wieder welche bekommt, die leben bleiben, so ist dessen Ende besser als der Anfang.« Wieder entgegnete Eliesa b. A.: »So hat dein Lehrer Akiba den Vers nicht erklärt. Er sprach: >So je­mand in der Jugend Thora lernt und sie vergisst, aber im Alter diese Studien erneuert und sie behält, dessen Ende ist besser als der Anfang.<« Dem R. Mair schienen diese Worte R. Akibas, deren sein Lehrer sich erinnerte und die er jetzt mit solchem Nachruck hervor­hebt, nicht ohne einige Beziehungen auf dessen Leben früher und jetzt, und er benutzte die Gelegenheit für seine Bekehrungsversuche. Wieder sprach er von seinem Vortrage, wie er die Stelle Hiob 28. 17. »Nicht geschätzt wird sie nach Gold und Glas; nicht nach Gold­gerät ist ihr Eintausch«, erklärte. »Die Worte der Thora sind schwer wie Gold zu erwerben, aber leicht wie Glas zu verlieren. Aber wie Gold- und Glasge­fäße, wenn sie zerbrochen werden, durch Umschmelzung wieder herge­stellt werden können, so ist es auch mit dem Weisen, so er gesündigt hat.« Das Wort war zu rechter Zeit gesprochen, Eliesa b. A. fühlte sich getroffen, aber er ergab sich noch nicht. »Halt ein! Genug! Kehre um, du darfst nicht wei­ter mit mir!« lautete sein Ruf, als wenn er ihm damit andeuten wollte, er habe bald den Shabbathweg überschritten. Aber der Schüler merkte den inneren Vorgang in des Meisters Seele und bat: »Auch du, mein Lehrer, kehre um!« Dieser beteuerte dem Flehenden die Unmöglichkeit desselben. Erst auf sei­nem Krankenlager, nachdem ihn R. Mair wiederholt zur Buße gemahnt, fragte er: »Ob denn Reumütige aufge­nommen werden!« Als dieser ihm den Psalmvers zitierte: »Es kehre der Mensch um, bis zur Zerknirschung«, d. h. bis zur Zerknirschung der Seele, da weinte Eliesa b. A. und verschied. R. Mair war über diese letzte Lebens­szene seines Lehrers freudig überrascht; es scheint, dass er bekehrt von dannen schied! Die Sage lässt diese treue Hin­gebung des Schülers für seinen Lehrer noch über den Tod des letzteren hinaus sich erstrecken. Aus dem Grabe des Eliesa b. A., heißt es, sah man Rauch-und Feuerwolken aufsteigen. R. Mair wurde herbeigeholt, er fand das Grab seines Lehrers in Flammen. Da breitete er seinen Mantel darüber und sprach: »Übernachte diese Nacht hier, am Morgen wird er dich erlösen, wo nicht, so erlöse ich dich! « Das Feuer versch­wand. Rühmlich haben wir noch die Würdigung hervorzuheben, die man diesem Lehrer, trotz seines Abfalls und feindlichen Benehmens gegen das Ju­dentum, zukommen ließ, ein Beweis der Größe dieses Mannes, aber auch der zu bewundernden Unparteilichkeit des jüdischen Schrifttums. Es werden von ihm Lehren in der Halacha und Agada gleich denen eines anderen Ge­setzeslehrers zitiert. Die Halacha kennt von ihm unter andern eine Entschei­dung, dass man bei Todesanzeigen auch nach drei Jahren noch die übliche Trauer der sieben Tage und der der dreißig Tage zu halten habe. Die Agada bringt seinen Lehrspruch: »Der Unter­richt an die Jugend gleicht der Schrift auf neuem Papier, aber der Unterricht an das Alter ist wie die Schrift auf ver­löschtem Papier.« Auf die Verwunderung vieler, wie R. Mair von Acher Lehren annehmen konnte, lautete die Antwort: »Den Kern genoss er, aber die Schale warf er weg!« Man sprach in Bezug auf ihn: »Der Weise gleicht einer Nuss, die, wenn äußerlich noch so beschmutzt, doch im Inneren ihren Kern rein hat.« Nicht einmal seinen Namen haben die ersten jüdischen Schriften, (so noch die Mischna) geän­dert. Erst die späteren Berichterstatter schreiben statt des »Eliesa ben Abuja« den Namen »Acher«, Anderer. Aber auch dieser ist keine schimpfliche Be­nennung, da er gleich unserm »Anony­mus« in der Mischna, oft auch von anderen Gesetzeslehrern, deren Namen man nicht nennen mochte, unter dem Ausdrucke »Acherim«, »Andere«, vor­kommt. Ebenso waren es nur die spä­teren Agadisten, welche die Sprüche über ihn aufstellten: »Und der Sünder wird verstrickt«, d. i. Acher! »Wer Acher im Traume sieht, fürchte vor Strafen.« Lange nach seinem Tode fühlte man sich bewogen, für den Un­terhalt seiner Tochter zu sorgen. Rühm­lich wird ein Enkel von ihm, R. Jakob, als Gesetzeslehrer genannt.