Dogmen - Glaubenslehrsätze - Glaubensartikel - Glaubensgrundsätze

Posted 6 yrs ago

Dogmen, Glaubenslehrsätze, Glau­bensartikel, Glaubensgrundsätze.

I. Name, Begriff und Bedeutung. Eine Bezeichnung für »Dogma«, Glau­benslehrsatz, und »Dogmen«, Glau­bensartikel im Sinne des Christentums, als die ausschließlichen Grundbedin­gungen der Religion, hat weder das bi­blische, noch das nachbiblische Schrift­tum des Judentums. Dasselbe macht nicht den Glauben allein zum Funda­ment seines Baues, es hat Glaubensleh­ren und Gesetze, beides, der Glaube und das Glaubenswerk, bilden es. Seine Dog­men, wenn man sich einmal dieses Aus­druckes bedienen muss, sind Grundleh­ren und Grundgesetze, die in der Bibel ausdrücklich »Worte, Bedingungen des Bundes«, »Zeichen des Bundes« heißen. Das hebräische nachbiblische Schrifttum hat dafür die Namen: »Haupt- oder Grundsatz in der Thora«, »Wesen der Thora«, ferner: »Wurzel«, »Grund der Thora«, die ein Zusammenfassen meh­rerer Lehren oder Gesetze unter eine Lehre oder ein Gesetz bedeuten. Man sieht, dass der Begriff hier ein anderer ist. Die Grundlehre oder das Grundge­setz ist nicht bloß eine Lehre oder ein Gesetz schlechthin, sondern auch eine Lehre oder ein Gesetz als Hauptlehre oder Hauptgesetz, der Inbegriff mehre­rer anderen Lehren oder Gesetze.

II. Wesen, Entwicklung und weitere Gestaltung. Die Frage, ob das Juden­tum Dogmen habe, wurde schon oft aufgeworfen und verschieden beant­wortet. Im Mittelalter waren es die Kabbalisten, die sich entschieden gegen die Aufstellung von Dogmen erklärten. In neuerer Zeit hat sich ihnen darin Mendelsohn angeschlossen, doch mit dem Unterschied, dass jene die Aufstel­lung von gewissen Lehren als Dogmen für das weite Gebiet der jüdischen Re­ligion des Judentums den Glauben von ihren Bekennern gar nicht fordere. Mendelsohn stellt das Judentum im Gegensatz zum Christentum dar, das in Folge seiner Erklärung der Gesetzesauf­lösung nur Dogmen hat, und behaup­tet, die jüdische Religion befehle nur die Gesetzesübung, kümmere sich nicht um den Glauben. Gegen diese Darstel­lung erhoben sich die bedeutendsten Stimmen im Judentum, von Seiten der Orthodoxen, wie von den Reformern. Das Judentum hat wohl Glaubenssätze, Dogmen, aber nicht im Sinne des Christentums als die ausschließlichen Grundbedingungen seiner Religion, sondern es gesellt zu ihnen das Gesetz, es fordert den Glauben und das Glau­benswerk. Nur in solcher Nebeneinan­derstellung der Lehre und des Gesetzes werden seine Grundbedingungen bei verschiedenen Anlässen schon in der Bibel hervorgehoben und verkündet. Wir erinnern an die zehn Gebote, wel­che als die zehn Worte, auf welche der Gottesbund mit Israel geschlossen wurde, bezeichnet werden. Sie bilden die erste Aufstellung von Grundlehren und Grundgesetzen, wofür sie noch von den Lehrern des zweiten jüdischen Staatsleben, gehalten wurden, die ihre Rezitierung bei den Morgengottes­diensten im Tempel nach dem Schema, dem Bekenntnis des Glaubens an die Einheit Gottes, anordneten. Der Glaube an Gott und die Verwerfung des Götzendienstes sind die ersten zwei derselben. Neben diesen werden die Beschneidung und der Shabbath Zei­chen und Zeugen des Bundes genannt, sie sind Grundgesetze des Judentums. Eine zweite Aufstellung der Grundbe­dingungen fand in den Aussprüchen zur Vereidigung Israels am Ebal und Gerisim statt, wo ebenfalls die Verwer­fung des Götzendienstes oben ange­stellt wird. Rechnen wir hierzu noch den mit vielem Nachdruck ausgespro­chenen Glaubensruf: »Höre Israel, der Ewige unser Gott ist der Ewige der Eine!« und die Verkündigung der Ei­genschaften Gottes: »Der Ewige, der Ewige, ein Gott, barmherzig, gnädig, langmütig, viel an Huld, Wahrheit usw.«, so haben wir den Glauben an Gott, seine Eigenschaften, die Verwer­fung des Götzendienstes als die Dog­men, und die Gesetze im Dekalog und in der Vereidigungsformel am Ebal nebst dem der Beschneidung als die Grundgesetze. Neben diesen Aufstel­lungen haben der Pentateuch und die anderen biblischen Schriften engere Zusammenfassungen dieser Grundleh­ren und Grundgesetze gleichsam in der Form eines kurzen bündigen Glaubens­bekenntnisses. Wir nennen die im 5. B. M. 1o, i2. »Und nun Israel! was for­dert der Ewige dein Gott von dir, als nur den Ewigen deinen Gott zu ehr-fürchten, in allen seinen Wegen zu wandeln, ihn zu lieben; zu dienen dem Ewigen, deinem Gott mit deinem ganzen Herzen und deiner ganzen Seele. Zu beobachten seine Gebote, Gesetze, die ich dir befehle, damit es dir gut gehe.« Kürzer ist dasselbe im Micha 6, 8. »Man hat es dir, o Mensch, gesagt, was gut ist und, der Ewige dein Gott von dir fordert: die Übung des Rechts, die Liebe zum Wohltun und den bescheidenen Wandel mit dem Ewigen, deinem Gotte.« Gottesfurcht, Gottesliebe und Gotteswandel sind also der Inbegriff der Glaubenslehren und Glaubensgesetze. Freilich haben wir in diesen Sätzen keine Schulformel, wie sie eine spätere Zeit hat, dafür fehlte noch die Reflexion und der Kampf der Ideen, die eine bestimmte, nach allen Seiten hin stark begrenzte Formulierung und Aufzählung der Dogmen und Grundgesetze nötig machten. Durch den Einzug des Helle­nismus in Palästina und dessen Kampf mit dem Judentum trat eine solche Zeit ein. Die philosophischen Ideen der Griechen weckten die Reflexion unter den Juden, es entstanden religiöse Par­teien und die Feststellungen von Grundgesetzen und Dogmen zur ge­genseitigen Abgrenzung nahmen von da ab erst ihren Anfang. Die ersten Hellenisten in der vormakkabäischen Zeit strebten nach einer Verschmelzung des Judentums mit dem Griechentume; die Sadducäer verwarfen die Tradition und das Auferstehungsdogma, glaubten weniger an die Messiaserwartungen, die Engel und Dämonen; die Alexan­driner stellten die unmittelbare Offen­barung, die Gesetzesoffenbarung in Abrede, und hielten dieselbe als eine Vermittlung durch den Logos. Die Es­säer kennen nicht den Auferstehungs­glauben, das Opfer und hielten sich vom Tempelbesuche zurück. Anderer­seits waren es wieder die Chassidäer, die die Glaubenslehren und die Gesetze zu weit ausdehnten, so dass durch de­ren Zutaten das Judentum ein ganz an­deres zu werden drohte. Gegen diese erhoben sich die Gesetzeslehrer mit ih­rer allmählichen Feststellung der Grundgesetze und Glaubensgrundleh­ren, Dogmen. Der Erste war Hillel (et­was 100 J. v.), der den Satz aufstellt: »Was dir unlieb ist, das tue auch deinem Nebenmenschen nicht. Das ist das Ge­setz, die Thora, das Übrige ist seine Aus­legung, gehe und lerne! « Dogmen wur­den gegenüber den Sadducäern und Essäern festgestellt: der Einheit Gottes, der Offenbarung des Gesetzes, der Mes­siaserwartung, der Auferstehung und der zukünftigen Welt, alle fünf erhielten in der Liturgie ihren Ausdruck. Die zwei ersten durch die Rezitierung des Schema, des Bekenntnisses des Ein­heitsglaubens, und der zehn Gebote in der Morgenandacht des Tempelgottes­dienstes; die zwei andern: die Messias­erlösung- und Auferstehungsdogmen in dem täglichen Achzehngebet, Sche­mone Esre, deren erste und letzte Stü­cke unleugbar Reste der Tempelgebete sind. Für letzteres, den Glauben an die zukünftige Welt, wurden der Benedik­tion: »Gepriesen sei der Ewige, der Gott Israels von der Welt«, die Worte hinzugefügt: »Von der Welt zur Welt«, um den Glauben an eine zweite Welt zu betonen. Hierher beziehen wir noch die Aufstellung von fünf Glaubens­wahrheiten, die Philo, vielleicht als Be­kenntnis der Juden in Alexandrien, die Lehre nennt, die wir Moses verdanken: . Gott ist und regiert; z. Gott ist einer; 3. Die Welt ist erschaffen; 4. Die er­schaffene Welt ist nur eine; und S. Got­tes Vorsehung waltet über die Welt. Nach der Auflösung des jüdischen Staates durch Titus geschah diese Er­neuerung der Dogmen in Bezug auf die neuentstandenen Sekten: des Juden­christentums und der Gnostiker auch in ihrer negativen, der ausschließenden Bedeutung. In der Mischna Sanhedrin Abschnitt io lesen wir: »Alle Israeliten haben Teil an der zukünftigen Welt, nur nicht: Wer da spricht: die Auferste­hung ist nicht biblisch, das Gesetz ist nicht von Gott und der Epikuräer.« R. Akiba nennt auch den, welcher in den externen Schriften, d. h. in denen der Sektierer liest und zur Heilung von Wunden Sprüche einherflüstert. Nach Abba Saul auch der, welcher den Got­tesnamen nach seinen Buchstaben aus­spricht. Wir erblicken in diesen Sätzen eine engere Abschließung des Juden­tums: 1. vor den Sadducäern mit ihrer Leugnung der Auferstehung; z. den Alexandrinern wegen ihrer Verwerfung des unmittelbaren Offenbarungsglau­bens; 3. den Hellenisten, »Epikuräer,« weil sie der Anordnung der Lehrer spotten, ihre Lehrweise verschmähen und ein ungebundenes Leben führen; 4. den Essäern, die bekanntlich für sich die Erlaubnis des Aussprechens des Gottesnamens in Anspruch nahmen; 5. den Indenchristen, die durch Einher-flüstern von Sprüchen Kranke heilen zu können vorgaben. Die Dogmen hier sind also: die der Offenbarung, der Auferstehung, der Tradition u. a. m. Auch die Aufstellung von Grundgeset­zen als die Glaubenswerke wird von den Lehrern dieser und späterer Zeit vorgenommen. R. Akiba lehrt: »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst«, ist ein großer Hauptsatz, Grundgesetz, in der Thora. Ben Asai, sein Zeitgenosse, bemerkt dagegen: der Vers: »Dies ist das Buch der Geschlechtsfolge des Menschen, die Entwicklung des Men­schengeschlechts ist ein großer Haupt­satz, Grundgesetz, der Thora.« Bar Kappara, ein Lehrer des z. Jahrh. n. stellt die Lehre auf: »Welches ist der kleine Abschnitt der Bibel, der alles Wesentliche der Thora in sich verei­nigt?« Derselbe lautet: »Auf allen dei­nen Wegen kenne ihn und er ebnet deine Pfade.« Deutlicher und ausführ­licher als alles Bisherige ist der Angabe eines Lehrers des 3. Jahrh. n., des R. Simlai, dieselbe heißt: 613 Gesetze hat die Thora, 365 Verbote wie die Tage des Sonnenjahres, 248 Verbote gleich der Gliederzahl am Menschen. Diese Gesetze führte David auf elf zurück, Jesajas auf sechs, Micha auf drei und Habakuk endlich auf eins. Die davidi­schen elf Gesetze sind: »Wer aufrichtig wandelt, Gerechtigkeit übt, Wahrheit im Herzen redet, mit seiner Zunge nicht verleumdet, keine Schmähung seinem Nächsten zufügt, in dessen Au­gen der Verächtliche gering ist, wer die Gottesverehrer ehrt, den Eid nicht bricht, wenn er auch für ihn Böses bringt, sein Geld nicht auf Zins gibt, und gegen Unschuldige keine Beste­chung nimmt.« Die sechs aus Jesaja sind: »Wer in Gerechtigkeit wandelt und redlich spricht, Gewinn von Be­drückten verschmäht, seine Hände von Bestechung fern hält, vor dem Blutrat sein Ohr verstopft, sein Auge nicht das Böse schauen lässt.« Die drei des Pro­pheten Micha lauten: »Das Recht aus­zuüben, Wohltätigkeit zu lieben und vor Gott in Demut zu wandeln.« Das eine des Habakuk: »Der Gerechte lebt in seinem Glauben.« Auch die Halacha stellt ihre Grundgesetze auf. »Drei sind es, die auch bei Lebensgefahr nicht übertreten werden dürfen: das Verbot des Götzendienstes, der Unzucht und des Mordes.« Spätere Midraschim knüpfen wieder an die zehn Gebote als die Grundgesetze der Religion an. In Palästina wurden sie wegen der Juden­christen oder anderer Sekten, die nur diese für eine Gottesoffenbarung hiel­ten, aus der Liturgie entfernt. Dagegen war man in Babylonien, wo es diese Sekten nicht gab, weniger darum be­sorgt. Der Dekalog wurde zwar in die Liturgie nicht eingeführt, aber man wiederholte die Lehren, dass das Schema-Gebet die zehn Gebote ent­halte. Auch das Kapitel 19. im 3. B. M. mit seinem Heiligkeitsrufe und den vie­len sich ihm anschließenden ethischen Gesetzen soll die zehn Gebote zu seiner Unterlage haben, eine Annahme, die mit vielem Geschick auch nachgewie­sen wird. Noch später stellte man die zehn Gebote als diejenigen dar, denen sich alle andern Gesetze und Lehren des Pentateuchs unterordnen lassen. Einen andern Weg schlagen die jüdi­schen Philosophen des Mittelalters ein, die nur von Dogmen als den Grundbe­dingungen des Judentums sprechen. Der Einfluss der arabischen Philoso­phie, die auch dem Islam seine Dogmen zustutzte, und die Entstehung und wei­tere Bildung der Sekte der Karäer im Judentum, gab den Anstoß hierzu. Der Gaon Saadja Fajumi (892-94z) war der Erste, der in seinem Compendium (Emunoth we Deoth) zehn Grundleh­ren aufstellte: r. die Schöpfung der Welt durch Gott; 2. die Einheit Gottes; 3. die Offenbarung des Gesetzes; 4. die Willensfreiheit, Tugend und Sünde; 5. Sünde und Buße; 6. die Seele und ihre Unsterblichkeit; 7. die Auferstehung; 8. die Erlösung; 9. die Vergeltung; ro. die Bestimmung des Menschen. Ein kürzeres Schema der jüdischen Dog­men stellte Chananel ben Chuschiel aus Kairvan in Afrika (gest. 1050) auf, das nur vier zählt:

1. den Glauben an Gott; 2. den Glauben an die Propheten; 3. den Glauben an die künftige Welt und 4. den Glauben an die Ankunft des Mes­sias. Eine dritte Aufstellung ist die von Abraham ben David aus Toledo (im 2. Jahrh.) in seinem Buche Emunah Ramah, die fünf kennt: r. das Dasein Gottes; 2. die Einheit Gottes; 3. die an­dern Eigenschaften Gottes; 4. die Werke Gottes; 5. die Vorsehung Got­tes. Epochemachend bis auf unsre Zeit war die Angabe der Dogmen von Mai­monides (1168) in seinem Mischna­kommentar. Diese sind 1. das Dasein Gottes; z. die Einheit Gottes; 3. seine Geistigkeit; 4. seine Ewigkeit; 5. die ausschließliche Anbetung Gottes; 6. die Prophetie; 7. die Unübertrefflich­keit Moses; 8. die Anerkennung der Thora; 9. ihre Verbindlichkeit; 10. die Vorsehung; 11. die Vergeltung; 12. die Messiaserwartung und 13. die Aufer­stehung. Diese Aufstellung hat viele Anfechtungen erfahren, man stellte nicht die Wahrheit der angegebenen Dogmen in Abrede, aber man war weniger mit der Zählung derselben zufrie­den und suchte für sie eine kürzere Form. Abba Mari, Lippman aus Mühl­hausen, bekannt durch seine Polemik gegen das Christentum, Chasdai Kres­kas aus Saragossa, Joseph Albo in So­ria, Joseph Jaabez in Mantua entschlie­ßen sich daher für eine Aufstellung von nur drei Hauptdogmen: Gott, Welt­schöpfung und Vorsehung. Andere, an deren Spitze Isaak Abravanel steht, verwerfen jede Dogmenaufzählung, weil alles, was die Thora enthält, ge­glaubt werden muss. Den Dritten ist die Zahl dreizehn der maimonidischen Artikel noch viel zu klein. Jedaja Penini in seinem Buche »Prüfung der Welt« hat 3 5 dogmatische Lehrsätze. Doch kämpfte sich die Dogmenzählung des Maimonides durch und die angese­hensten Gelehrten seiner und späterer Zeit erklärten sich für dieselben.